Tugendethik

A rich man with a suitcase full of money, isolated on white background

A rich man with a suitcase full of money, isolated on white background

Als im Laufe der Immobilien-, Banken- und Eurokrise der Banker immer mehr zum Sinnbild des raffgierigen, egositischen und damit lasterhaften Menschen wurde, erwachte gleichzeitig in der Gesellschaft eine verblasste Erinnerung an ein antik-mittelalterliches Ideal- und Heilsbild: Der ehrbare Kaufmann. Wo, so fragte man sich, ist die Tugend der Ehrbarkeit geblieben? Sollte sie nicht gemäß den Statuten der Industrie- und Handelskammer nicht nur die Leittugend für den Kaufmann, sondern eben für alle Bereiche der Wirtschaft sein? Nur, gab es den ehrbaren Kaufmann jemals? Kann ein Kaufmann oder ein Banker überhaupt tugendhaft sein? Diese Frage, zumindest bezogen auf den Kaufmann beschäftigte schon Aristoteles, der mit seinen Gedanken hierzu das Abendland sehr intensiv und lange prägte.

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Aristoteles und sein Schüler Alexander der Große

Folgt man Aristoteles, so kann nur der, der sich tugendhaft verhält, der also bei seinen Handlungen um die “rechte Mitte” weiß und danach handelt, überhaupt ein glückliches Leben führen. Um deutlich zu machen, was unter dieser Mitte zu verstehen ist, untersuchte Aristoteles eine Reihe von Berufen und Lebenssituationen im Hinblick auf die dort je geforderten richtigen Verhaltensweisen. So entstand de facto ein Tugendkatalog, der klassisch wurde (Die Tugend der Tapferkeit ist die Mitte zwischen Angst und Verwegenheit oder die Tugend der Großzügigkeit als die Mitte zwischen Verschwendung und Knausrigkeit). Natürlich war Aristoteles bewusst, dass mit derlei Definitionen noch nicht viel gewonnen war, denn immer noch musste die handelnde Person selbst in der konkreten Situation abwägen und in die Mitte zwischen zu viel und zu wenig finden… In diesem Sinne, auf der Suche nach der Mitte und damit der Chance auf ein glückliches Leben, prüfte Aristoteles auch den Beruf des Kaufmanns und kam zu einem deutlichen Schluss:

Tugendhaftes Leben und die Tätigkeiten eines Kaufmanns schließen sich gegenseitig aus.

Tatsächlich versteht Aristoteles profitorientiertes Handeln als eine verwerfliche Form des Egoismus, bei dem der Handelnde das Wohl des Anderen nicht nur aus den Augen verliert, sondern sich selbst charakterlich zum Negativen hin verändert. Er wird gierig, sieht in seinen Mitmenschen nicht mehr Brüder und Schwestern, sondern austauschbare Kunden… und in dem Sinne verlangt er für seine Ware Preise, die sich nicht mehr den eigentlichen Wert der Ware orientieren, sondern allein am Wechselspiel von Angebot und Nachfrage.
Geld an sich ist dem Philosophen ebenfalls suspekt, denn es hat, anders als viele andere Dinge keinen eigenständigen nützlichen Zweck (Der Schuh hat den Zweck, unsere Füße beim Laufen zu schützen und zu stützen; welchen natürlichen Zweck aber hat das Geld?). Deshalb ist es nach Aristoteles auch verwerflich, wenn jemand mit Geld selbst Geld macht (modernes Beispiel: durch Spekulationen mit Derivaten).

Hmong transportiert GemŸse ins Tal, Laos, um die Ware am Markt zu verkaufen

Hmong transportiert Gemüse ins Tal, um die Ware am Markt zu verkaufen (Laos)

 

Einen kleinen Ausweg kann sich Aristoteles immerhin vorstellen: Der Händler könnte ausschließlich den realen Preis des Produktes (Einkaufs- oder Herstellungspreis) zuzüglich einer angemessenen (im Sinne von realistisch die tatsächlichen Kosten für Transport… zu Grunde legenden) Aufwandsentschädigung verlangen. Dann läge ein gerechter Tausch vor. Ausgehend von dieser Variante entstand im Mittelalter dann die Vorstellung vom ehrbaren Kaufmann, der zum Idealbild wurde, das sich bis in die Gegenwart durchhielt…

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