Verantwortungsethik (Hans Jonas et al)

Vorbermerkung – die folgenden Gedankenspiele hätte man auch mit manch anderem Plakat von Hilfsorganisationen machen können. Der WWF hat aber aus der subjektiven Sicht des Autors die besten Plakate, um die gewünschten Inhalte darzustellen…

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I.

Plakate wie diese sind nach Hans Jonas nicht wirklich zielführend! Um Missverständnisse zu vermeiden:  Damit ist nicht gesagt, dass es sinnlos sei, mit einer Spende zur Rettung der wenigen noch lebenden sibirischen Tiger beizutragen. Damit sei auch gesagt, dass davon auszugehen ist, dass der WWF dieses Geld sinnvoll einsetzen wird. Aber Spendenaufrufe wie diese machen nach H. Jonas nur Sinn, wenn man ganz kurzfristig Geld für eine akut vorliegende Notsituation Geld bräuchte. Doch das ist hier nicht unbedingt der Fall. Der sibirische Tiger ist vom Aussterben bedroht, ja, aber er wird nicht morgen aussterben und, um ihn zu retten, müssen langfristig eine Reihe von Projekten angestoßen und finanziert werden. Und genau an dieser Stelle wird das Plakat zum Problem, denn es spricht die mütterlichen bzw. väterlichen Gefühle in uns an – traurige Tigerkinder blicken uns an, ihre Mama ist weg! – und kombiniert diese Gefühle mit dem Versprechen schon 5 Euro würden helfen, zu verhindern, dass künftig Tigerkinder ihre Mama verlieren.

Zur Erinnerung: Vor einem Jahr, ebenfalls typischerweise zur Weihnachtszeit, gab es diese Plakate schon einmal. Der einzige Unterschied: Damals waren es nicht Tigerkinder, denen die Menschen ihre Eltern genommen hatten, sondern Elefantenkinder. Dank der Kampagne des Jahres 2012 scheint es nun aber wieder genug glückliche und heile Elefantenfamilien zu geben, so dass der WWF sich der nächsten bedrohten Tierart zuwenden kann. Das könnte man zumindest denken, aber dem ist natürlich nicht so. Es braucht weiterhin viel Geld, um jene Projekte zu finanzieren, die damals begonnen wurden, um die Elefanten langfristig zu retten. Hat der WWF also nur einen anderen Schwerpunkt gesetzt? Denkbar wäre es, schließlich gibt es viele bedrohte Tierarten, aber wenn dann wäre dies nur die halbe Wahrheit.

Gestern war sie noch da

Wahrscheinlich, dass der WWF kaum noch um Spenden für Elefanten werben kann, denn wie wollte er sein Plakat aus dem letzten Jahr übertreffen? Mit grausamen Schockbildern, die aufgrund ihrer Wirkung höchst umstritten sind? Man hat letztes Jahr jenes  Motiv eingesetzt, dass Menschen zum Mitleiden motiviert: den traurigen Blick eines einsamen Kindes. Mehr Mitgefühl kann man für eine Tierart kaum wecken.  Deshalb jetzt der Wechsel der Tierart (und es ist anzunehmen, dass nächstes Jahr eine weitere Tierart auf den Plakaten zu sehen ist). Aber ewig wird der WWF nicht auf dieses Motiv setzen können, denn es gilt auch dies: Wir Menschen gewöhnen uns an alles, auch an den Anblick von verwaisten Tierkindern, zumal dann, wenn sie uns nur von Plakaten aus anstarren…
Und es ist eine zweite Frage an die Entwickler dieser Plakatkampagne zu stellen: Findet hier nicht eine massive Reduktion des Problems und der Problemlösung statt? Es ist ja nicht so einfach, wie man es ausgehend von dem Plakat annehmen könnte: Irgendwo auf der Welt gibt es ein paar Menschen, die so bösartig sind, Tigerkindern ihre Mütter wegzunehmen und schon mit 5 Euro kann man die Tiger vor ihnen retten… Das Gefühl, dass dieses Plakat zwar nützlich sein mag, in der Vorweihnachts- und Weihnachtszeit kurzfristig Spenden für bedrohte Tiger zu akquirieren, dass es aber kaum zu einer langfristigen und nachhaltigen Lösung des Gesamtproblems beiträgt, dieses Gefühl bleibt. Es bleibt, weil die spendende Bevölkerung nur oberflächlich und emotional angesprochen wird. Zudem wird ihr suggeriert, einfach, unbürokratisch, schnell und effektiv helfen zu können. Dadurch aber entsteht kein echtes Verantwortungsbewusstsein für die Situation der Tiere und der Menschen, die sie nicht grundlos töten.

II.

Gegenposition: Die Plakatkampagne ist gerade ein Versuch, jene Distanz zur Natur und zum Mitmenschen zu überwinden, die nach H. Jonas beim modernen Menschen zu beobachten ist. Wir wissen so gut wie nichts über die sibirischen Tiger, ihre Bedeutung für das Ökosystem etc. und wir wissen ebenso wenig über die Gründe, die die Menschen haben, die die Tiger jagen. Aber, wir glauben alles, insbesondere die Natur, unter Kontrolle zu haben. Sie ist unsere Ressource, die zu nutzen unser Recht ist. Also kaufen wir uns Möbel aus Holz und gerne darf es da auch mal Tropenholz sein. Was, so fragen wir, hat nun mein Gartenstuhl aus Tropenholz mit Tigern zu tun? Nichts, denn wegen den zwei Bäumen, die für meinen Stuhl maximal gefällt werden mussten, gab es keine Notwendigkeit eine Tigerin zu töten. Oder? Genau hierin liegt der Fehler, hier zeigt sich die Distanzierung des modernen Menschen von seiner Umwelt, von der H. Jonas spricht:

So groß ist die Distanz zwischen uns und der Welt, in der der sibirische Tiger lebt, aus der das Holz für unsere Möbel kommt, dass wir gar nicht mehr wissen können, was dort wirklich passiert. Die Welt ist so komplex geworden, dass es uns schwer fällt überhaupt noch nachzuvollziehen, woher genau unsere Möbel kommen, von wem sie unter welchen Bedingungen hergestellt wurden. Die Welt ist so anonym geworden, dass es uns leicht fällt, uns hinter und in der Masse zu verstecken, so dass wir immer sagen können: Mein Beitrag ist so unbedeutend… Bis uns das Bild von den Tigerjungen daran erinnert: Da draußen, außerhalb unserer heilen Wohlstandswelt, da gibt es noch eine Umwelt, auf die wir angewiesen sind und die auf uns angewiesen ist.

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Ich als Einzelner trage Verantwortung für die Natur, meine Mitmenschen und zukünftige Generationen! Dieses Gefühl, dieses Bewusstsein und die daraus resultierende Pflicht, gerade Schwachen und Bedrohten zu helfen, ist das, was uns nach H. Jonas erst zu besonderen Wesen innerhalb der Natur macht. Und, wenn es durch das Plakat gelingt, bei einigen Menschen dieses Bewusstsein wieder aus der Versenkung zu holen, dann ist viel gewonnen. Noch mehr ist dann erreicht, wenn wir beginnen, die Projekte, die der WWF in der Heimat der Tiger durchführt, nicht aus der Ferne durch Geld zu unterstützen, sondern unsere Verantwortung ernst zu nehmen und selbst dort hinzugehen, bzw. zumindest beginnen intensiv und kritisch nachzufragen. Dann würden wir sehen, dass es nicht reicht durch die Errichtung von Reservaten etc. Tiger zu retten, wenn gleichzeitig in der Umgebung dieser Reservate Menschen verzweifelt in Armut leben…

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