Martin Luther – die zwei Reiche Lehre I

Was mag sich Angela Merkel gedacht haben, als Papst Benedikt XVI am 22.9.2011 in seiner Rede vor dem deutschen Bundestag den deutschen Staat unter Berufung auf Augustin in die Nähe einer Räuberbande rückte? Ob sie, die Tochter eines evangelischen Pfarrers, in diesem Moment an Martin Luther gedacht hat? Wir wissen es nicht. Denkbar aber wäre es, denn Martin Luther hat gerade auch in der Auseinandersetzung mit derart dominanten Ansprüchen  der katholischen Kirche seine zwei Lehre von den zwei Regimenten Gottes entwickelt, die Karl Barth später die “Zwei-Reiche-Lehre” nannte. Bewusst bezieht sich er, anders als die katholische Kirche, die ihre Deutung des Staates auf Apk 13 (der Staat als Diener des Teufels) aufbaut, dabei auf Röm 13: Jede Obrigkeit ist von Gott.

Zweischwerterlehre_(Dresdner_Sachsenspiegel,_Karl_von_Amira)

Der Staat ist deshalb nach Luther eine eigenständige, der Kirche gleichwertige Ordnungsstruktur, mit der Gott auf der Erde Gutes bewirken will. In diesem Sinne haben beide Reiche, je ihre eigenen Aufgaben. Der Staat ist für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, die Verteidigung des Landes und für das allgemeine Wohlergehen der Bürger zuständig. Er hat zur Erfüllung seiner Aufgaben seine eigenen Mittel, insbesondere das Schwert – Symbol für das Recht des Staates auch mit Gewalt Recht und Gerechtigkeit zu erhalten und wieder herzustellen. Die Kirche wiederum ist für die Verkündigung des Wortes Gottes, die Seelsorge und die Diakonie zuständig. Ihr Mittel ist wesentlich das geistliche Schwert, das Wort, konkreter Gesetz (Erinnerung an den Willen Gottes und an seine Gebote) und Evangelium (die frohe Botschaft von Jesus, der für unsere Sünden gestorben ist).

Das Binnenverhältnis beider Regimenter ist vorrangig durch die Begriffe Eigenständigkeit und Gleichwertigkeit gekennzeichnet. Hinzukommen aber noch der Auftrag, sich gegenseitig zu unterstützen – nochmals beide wollen ja im Idealfall das Gute -, sich gegenseitig aber auch zu kontrollieren und im schlimmsten Fall einzugreifen bzw. Widerstand zu leisten, wenn der andere seine Aufgaben nicht mehr erfüllt oder sich in den Aufgabenbereich des anderen einmischt. Letzteres war aus der Sicht Luthers zu seiner Zeit gegeben: So ermutigte er die Fürsten Deutschland zum Widerstand gegen eine Kirche, die sich das Recht nahm, den Staat zu dominieren. Letzteres wäre sicherlich auch zu Zeiten des Dritten Reiches viel stärker gefragt gewesen. Hier hätte die evangelische Kirche einem Staat, der sich nicht nur in die kirchliche Arbeit einmischte, sondern auch selbst religiöse Züge annahm,  deutlich Widerstand leisten müssen.

Meiserstrasse

Das Versagen der evangelisch-lutherischen Kirche im Dritten Reich, die nicht oft genug und nicht geschlossen genug Widerstand leistete, ist sicherlich auf eine Vielfalt von Gründen zurückzuführen. Ein Aspekt dabei ist aber, dass Luther um die Eigenständigkeit und die Gleichwertigkeit des Staates gegenüber der Kirche zu betonen, Röm 13 in den Vordergrund rückte. Ein Satz, der isoliert besehen, eben auch so gedeutet werden kann, dass auch der Führer eine von Gott verordnete Obrigkeit ist. Und ja, leider wurde Luther selbst zu einem Vorbild für all jene, die es in dieser Zeit als legitim ansahen, wenn der Staat gegen seine eigenen Bürger vorging, denn Luther stellte sich auf die Seite der Fürsten, als diese die Bauernaufstände blutig niederschlugen…

Trotzdem bleibt eines aus evangelischer Sicht bestehen: Staat und Kirche sind zu trennen. Beide sind Ordnungsstukturen, die Gott gegeben hat, um für die Menschen Gutes zu bewirken. Aber, dies ist die Erkenntnis aus der Geschichte, es ist wichtig, dass sich Kirche und Staat gegenseitig kontrollieren, um sich so gegenseitig dazu zu motivieren, genau dieses Gute auch zu bewirken und sich gegenseitig davon abzuhalten, falsche Wege einzuschlagen.

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