Martin Heidegger – Der Mensch und der Tod

Geworfen in das Man. Mit diesen vier Worten könnte man grob zusammenfassen, wie Martin Heidegger das menschliche Dasein beschreibt. Zwei Gedanken lassen sich aus diesem Satz sofort ableiten:

  1. Du bist nicht Herr Deiner Selbst. Im Gegenteil: Du wirst geworfen, Dir wird gesagt, wer Du bist, wie Du bist, wie Du Dich und die Welt um Dich herum zu verstehen hast und
  2. Es ist kein konkretes Gegenüber, das Dich beherrscht. Es ist nicht Gott, der Dir vorgibt, welchen Sinn Dein Leben hat, wie es verläuft, in welcher Welt Du lebst. Mit Gott könnte man sich ja auseinander setzen, versuchen, seinen Willen mit Opfern, Gebeten, durch entsprechendes Verhalten zu beeinflussen…
    Es sind auch nicht die Eltern, die Freunde, der bewunderte Star oder Politiker, die Dir Deinen Sinn vorgeben, die verantwortlich dafür sind, dass Du bist, wie Du bist. Sicher, das sei zugegeben, Du kannst vermutlich schon über Dich sagen, dass Du diese oder jene Eigenschaft von Deinen Eltern geerbt bzw. erlernt hättest, dass Du eine bestimmte Haltung oder Lebensart von einem von Dir bewunderten Menschen übernommen hast – und damit hast Du sicher recht. Aber: Mitmenschen, die Dich prägten, sind ihrerseits ja auch nur „Geworfene“. Die Macht aber, die dahinter steht, auf die es ankommt, ist eine andere: Das anonyme, unfassbare Man.

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Für dieses Man gibt es bei Heidegger ein Synonym: Sprache. Was er damit meint, ist am besten am Beispiel eines Kleinkindes zu beschreiben: Dieses erschließt sich eigentlich selbst die Welt. Es krabbelt zu Gegenständen in seiner Umgebung, nimmt sie in den Mund, verleibt sie sich bildlich gesehen ein und entdeckt so seine Welt. Irgendwann dann lernt das Kind zu sprechen und hier beginnt etwas Entscheidendes: Aus nagnagngagaga… (Babysprache) wird Auuutoooo. Dieser Vorgang beschreibt den entscheidenden Prozess, den jeder Mensch durchschreitet: Das Kleinkind, das in seiner eigenen Welt lebt, eigene Begriffe für die Welt um sich herum hat, erlernt die Sprache der es umgebenden Welt.

Die Eltern sind darüber sehr glücklich. Zwischen den Eltern gibt es regelrechte Wettbewerbe „Mein Kind hat schon mit eineinhalb Jahren gesprochen!“ „Wie, ihr Kind ist drei und spricht immer noch nicht?“. Doch, was von den Erwachsenen als wichtiger Schritt in der Entwicklung des Kindes gesehen wird, als Erwerb einer neuen Fähigkeit (wie eben z.B. selbst laufen zu können) ist nach Heidegger weit aus mehr.

Wenn das Kind lernt Auto, Mama … zu sagen, erlernt es eine gesamte, alles umfassende Deutung der Wirklichkeit. Die Welt ist ab diesem Zeitpunkt in Begriffe, in Kategorien eingeteilt, in Geschlechter, in gut und böse, schön und hässlich, nützlich und nicht nützlich und so weiter. Damit entsteht Ordnung im Chaos des Seins. Dinge, Zustände werden klar trennbar. Damit ist Kommunikation möglich, weil alle um mich herum dieselbe Sprache sprechen. Damit wird uns aber auch unser Sein vorgegeben. Du bist erfolgreich – sagt Man – wenn Du die Schule mit sehr guten Noten abschließt. Du bist es nicht, wenn Du nur mittelmäßige Noten hast – und sicher: Dann kannst Du natürlich sagen, dass aus Deiner Sicht durchschnittliche Noten auch ein großer Erfolg seien, aber Dir ist dann hoffentlich bewusst, dass Du hier etwas behauptest, was Man nicht so sieht. Und, Du solltest nicht so oft die Normen des Man, ignorieren, nicht zu oft von Dir behaupten, dass Du erfolgreich bist, obwohl es nicht stimmt, denn dann hätte das Man auch einen Begriff für Dich, Du wärst dann ein Angeber…

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Wichtig ist an dieser Stelle zu sehen, dass die Begriffe erfolgreich oder Angeber existieren, bevor Du etwas tust, bevor Du überhaupt existierst. Sie sind klar definiert, bevor sie auf Dich angewendet werden. Sie beschreiben, sie definieren Dein Sein. Oder in den Worten Heideggers: Das Man hat Dir das Sein abgenommen. Und, so seltsam es erst einmal klingt, das Man verfolgt dabei sogar ein Ziel: Die allgemeine Durchschnittlichkeit – Deine Durchschnittlichkeit – Du sollst das an Kleidung tragen, was alle so tragen, Du sollst Ziele im Leben haben, wie sie so viele andere auch haben, Du sollst die Werte teilen, die auch die anderen vertreten… Wir leben nach Heidegger in einer Diktatur, die uns die Durchschnittlichkeit aufzwingt, die uns zu braven Schafen macht, die alle ihr Handy herumtragen und auf E-Mails und Whats-app Nachrichten warten, die sich alle als Demokraten verstehen…

Das Gemeine an der Diktatur, in der wir leben, ist die Tatsache, dass der Diktator nicht fassbar ist. Er ist keine Person, sondern das nicht fassbare Man. Besonders schlimm ist dies alles schließlich, weil wir Menschen nach Heidegger die einzige Seiende (=Wesen) sind, das fragen kann. Uns ist es letztlich bewusst, dass wir dem Diktat des Man unterworfen sind. Doch Bewusstsein bedeutet auch eine Chance, einen Auftrag. In den Worten Heideggers: Sei eigentlich! Denn, es stimmt nicht ganz, dass wir für alle Seinszustände unseres Lebens Begriffe haben, die Man inhaltlich festgelegt hat. Der Tod, der Prozess des Sterbens, aber auch Momente mit starken Gefühlen sind eine Ausnahme. In diesen Momenten sind wir sprachlos, wissen wir nicht, was und wie wir es ausdrücken können, wie wir uns treffend mitteilen können und machen umgekehrt die Erfahrung, dass uns auch die Worte der Anderen nicht erreichen, dass die Anderen unsere Sprache nicht sprechen.

Diese besonderen Momente sind für Heidegger die interessantesten Momente in unserem Leben überhaupt, denn in diesen Momenten sind wir frei, bestimmen wir wirklich selbst über unser Dasein. Deshalb gilt: „Der Tod als Ende des Daseins ist die eigenste, unbezüglichste, gewisse und als solche unbestimmte, unüberholbare Möglichkeit des Daseins.“

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