Plato – der Mensch und der Tod

Der Mensch – so beobachtet Plato – zumindest der weise Mensch – ist ständig auf der Suche. Er sucht die wahre Liebe, er sucht  die wahre Schönheit, er sucht das wahre Glück oder kurz: Er sucht das wahre Gute. Diese Suche ist – eine weitere leicht nachvollziehbare Beobachtung – fortwährend. Wir suchen unter anderem nach ewig währender, beständiger und unsterblicher Liebe und meinen damit eine Partnerin und einen Partner, der uns erfüllt, dauerhaft, mit dem wir alt werden wollen… Dabei geht es uns immer wieder so, dass wir glauben ihn bzw. sie gefunden haben. Doch nach einiger Zeit stellen wir fest, das wir zwar viel von dem gefunden haben, was wir suchten, aber doch nicht alles und wir beginnen erneut zu suchen…

So geht es uns nicht nur in der Liebe, sondern in allen Dingen. Wir suchen das Gute, das Schöne als etwas Beständiges. Wir leiden darunter, dass es vergänglich ist, oft nur einen kurzen Moment andauert und tun alles dafür, dass es möglich lang anhalte oder dass es sich sicher wiederhole. Und so gehen wir in ein Lokal, in dem wir gut gegessen haben, uns gut unterhalten haben, wieder und wieder; wir reisen immer wieder an jenen Urlaubsort, an dem wir eine besonders schöne Zeit verbracht haben… Wir versuchen, das Gute einzufangen, zu konservieren, wiederholbar zu machen. Aber, es gelingt uns meist nicht oder nur bedingt.

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Die erste Erkenntnis, die sich daraus ziehen lässt, ist, dass so sehr wir uns nach etwas Beständigem, Ewigen sehnen, wir dies nicht so einfach erreichen können, denn wir sind Menschen und keine Götter. Letztere zeichnet nach Plato vor uns aus, dass sie im dauerhaften Besitz von Glück, Schönheit… sind. Sie sind selbst ewig, wir aber, dies ist die zweite Erkenntnis, stehen schnell vor einer Schranke, die den absoluten Verlust jedes Glückes bedeutet: Dem Tod. Doch unsere Sehnsucht ist stark – sie treibt uns an nach Beständigkeit, nach ewigem Glück zu suchen.

An dieser Stelle ist es nun Zeit präziser zu werden und nach der treibenden Kraft hinter dieser Suche zu fragen: Es ist die Seele, unsere Seele. Folgt man Plato, so ist sie es, die das wahre Gute sucht und sie hat dafür einen guten Grund: Sie ist selbst ewig, unsterblich. Sie war schon in der Welt, die Plato die Welt der Ideen nennt, dort also, wo das wahre Gute existiert. Sie ist nun aber, aufgrund des Handelns des Demiurgen, des Schöpfers dieser Welt, gefangen im Leib. Hier macht sie aus toter Materie einen lebendigen menschlichen Körper, denn sie ist die Kraft, die den Körper in Bewegung setzt und hält. Sie lässt ihn nach der wahren Liebe, nach dem wahren Glück suchen, denn in ihrer Gefangenschaft erinnert sie sich (Anamnese) an die Welt der Ideen.

Für uns alle spürbar wird die Seele somit in unserer Suche nach dem Wahren. Sie ist aber mehr, sie ist nach Platon auch gleichzusetzen mit unserem Verstand. Ihn gilt es deshalb zu erziehen, so dass er sich nicht von den mit dem Körper verbundenen Seelen bestimmen lässt, sondern im Gegenteil diese lenkt und führt. Diese mit dem Körper verbundenen Seelen (die Begierdenseele und die Mutseele) werden – dies sei hier betont – nicht als eigenständige Seelen gedacht, sie sind eher an den Körper gebundene Kräfte, die mit diesem im Tod auch vergehen.

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(Im Bild entspricht der Wagenlenker der Verstandesseele und die beiden Pferde der Mut- und der Begierdenseele)

Damit ist nun auch der Punkt erreicht, grundsätzlich über die Deutung des Todes durch Plato zu reden. Hier greift Plato auf eine alte, weitverbreitete aber insbesondere von Heraklit sehr klar vertretene Vorstellung zurück: Den Kreislauf des Werdens und Vergehens. Steigen wir in ihn in dem Moment ein, den wir beobachten können, den Moment des Todes. In diesem verlässt die Seele den Körper und, was einmal lebendig war, liegt tot und kalt da, zerfällt in Staub. Die Seele wiederum steigt bald nach dem Tod hinab in den Hades und während gute und entsprechend vorbereitete Seelen den Styx oder Acheron, mit Hilfe von Charon unbeschadet überqueren, werden frevelhafte Seelen vom Acheron oder vom Phlegethon, einem Lavastrom fortgerissen und in den acherusischen See gespült. Dort haben letztere die Chance, sich von ihren Sünden zu reinigen und ihre Opfer um Vergebung zu bitten.

Acheron river springs and gorge in Greece

Acheron river springs and gorge in Greece

Alle Seelen aber verweilen nach Heraklit und der von ihm aufgenommenen Tradition nur eine begrenzte Zeit im Hades. Sie kehren von dort zurück, sie müssen von dort zurückkehren, damit neues Leben entstehen kann. Sie beseelen deshalb von neuem tote Materie mit Leben und sorgen so dafür, dass der Kreislauf des Werdens und Vergehens nie aufhört…

Diese Vorstellungen, die ja letztendlich besagen, dass wir zweigeteilt sind, in einen materiellen, vergänglichen Körper und eine präexistente, ewige Seele teilt Plato und von dieser Basis aus ergibt sich der Rest fast von selbst. Dem Körper ist es aufgrund seiner materiellen Beschaffenheit und der Beschränktheit der Sinne nicht möglich, das Ewige, das wahre Gute, das wahre Schöne (kurz in der Sprache Platos die Ideen) zu erfassen. Er erkennt daher nur materiell Schönes, Gutes etc. und damit Vergängliches. Die Seele hingegen kann mit Hilfe der Vernunft das Ewige erfassen, denn sie selbst ist ja auch ewig unvergänglich.

Im Idealfall also muss der Mensch zum Philosophen werden, der sich seines Verstandes bedient und alles aus der Vernunft heraus, aus reinem abstrakten Denken entscheidet und tut, der auch die Begierden- und die Mutseele vollkommen kontrolliert. Für diesen Menschen ist der Tod der Moment der Befreiung, der ein Aufstieg in die Welt der Götter, der Ideen folgt. Für alle anderen, denen das nicht gelingt, bei denen im Gegenteil der Verstand getrübt und eingeschränkt wird durch Impulse der Begierdenseele, wie z.B. das Bedürfnis nach Ruhe, durch Unlust etc. oder/und durch Impulse der Mutseele, wie z.B. Zorn oder Ehrgeiz, gilt, dass sie den Weg beschreiten müssen, den Heraklit beschrieben hat. Sie bleiben nach einer Phase der Reinigung in der Unterwelt gefangen in dieser materiellen Welt.

 

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