Wann beginnt menschliches Leben? Teil II – die Position der Soziobiologie

Viele glauben, dass der Mensch durch die Entwicklung des Gehirns, insbesondere des Verstandes zu etwas Besonderem in dieser Welt wurde. Er allein ist kulturschaffend, hat Sinn für Ästhetik, kann mehrere Sprachen erlernen, ist zu hohem moralischen Verhalten fähig… Das stimmt auch so. Bezogen auf den Rest der Natur ist der Mensch durch all diese Fähigkeiten etwas besonders! Nur: Er ist deshalb auch nicht mehr als ein Tier, ein Naturwesen. Auch er wird bestimmt durch die Gesetze der Natur, die Gesetze der Evolution. Es geht, folgt man der Soziobiologie, im Leben des Menschen um nichts anderes als im Leben einer Schnecke oder eines Esels: Es geht trotz aller Kultur und aller geistigen Fähigkeiten nur um die Verbreitung der Gene, um Selektion, um die Durchsetzung der fittesten Gene. Warum dies so ist, dies zu begründen, ist nicht Ziel dieses Artikels, sondern nur zu zeigen, was dies für die Frage nach dem Anfang des menschlichen Lebens bedeutet:

Wir führen emotionale Befindlichkeiten an, um zu sagen, warum wir uns diesen oder jenen Partner ausgesucht haben; wir erklären mit vernünftigen Worten und ebenfalls emotionalen Stimmungen, warum wir es jetzt gut fänden, mit diesem Partner ein Kind zu bekommen. Aber es sind die Gene, die uns eigentlich zusammenbrachten. Es sind die Gene, die uns in ihrem Interesse ihre eigene Weiterverbreitung zu sichern, antrieben. Entscheidungen von Paaren, wie eben jene, jetzt ein Kind zu wollen oder erst in ein paar Jahren, sind in diesem Sinne nur scheinbar bewusst von uns getroffen. In Wahrheit folgen sie dem Druck der Gene und einem auch in der Natur zu beobachtenden Maßstab: Ist die Investition der eigenen – elterlichen – Ressourcen optimal und effektiv?

Und so müssen wir anerkennen, dass das, was wir bei Tieren als asozial erleben – Vögel etwa füttern bei knappem Nahrungsangebot ihre Jungen nicht gleichmäßig, sondern der größte und kräftigste Jungvogel bekommt immer zuerst und mehr, auch wenn das bedeutet, dass schwächere Tiere verhungern – auch beim Menschen stattfindet.

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(Kuckuck im Nest)

Schon immer haben Menschen ihren Nachwuchs selektiert, Abtreibungen vorgenommen, Säuglinge getötet oder versucht, Schwangerschaften zu verhüten. Wobei für uns Menschen gilt, was auch in der Natur gilt: Im Sinne der Ökonomie im Umgang mit den eigenen Ressourcen ist es natürlich sinnvoller, möglichst früh den nicht erwünschten Nachwuchs zu verhindern. Und auch dies gehört selbstverständlich dazu: Haben sich unser Gene reproduziert, sprich haben wir ein oder mehrere Kinder, so verhalten wir uns auch wie die Vögel: Wir versuchen die Lebenschancen unserer Kinder mit allen Mitteln zu optimieren und wir investieren auch hier bei knappen Ressourcen so, dass das stärkere/bessere Kind mehr gefördert wird…

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(in virto fertilisation)

An dieser Stelle mag so mancher natürlich einwenden, dass das hier Vorgetragene so nicht stimmen könne, immerhin gebe es ja genug Eltern, die z.B. ein behindertes Kind weder abtreiben noch im Kindesalter in ein Heim abschieben würden, um mehr Zeit für ein anderes, gesundes Kind zu haben. Doch diese und auch andere Beobachtungen stellen an sich keinen Widerspruch zur soziobiologischen Theorie dar, denn es ist wichtig folgendes zu wissen: Es geht in diesem Ansatz nicht um das individuelle Gen, meine Gene, sondern um die Gene des Menschen an sich. Letztere sind den Gesetzen der Evolution unterworfen, nach denen nur die fittesten, anpassungsfähigsten und besten Gene überleben und den Bestand der Art sichern. Das aber schließt nicht aus, dass bei einzelnen menschlichen Individuen, die Gene sich falsch entwickeln und Ressourcen in die Erhaltung nicht geeigneten Genmaterials stecken.

Und was bedeutet dies nun für den Beginn des menschlichen Lebens? In letzter Konsequenz verschiebt sich der Beginn des menschlichen Lebens – im Sinne von: Ab diesem Zeitpunkt ist das Lebewesen schützenswert und als eigenständig zu respektieren – deutlich nach hinten: Das Individuum zählt erst ab Eintritt der Reproduktionsreife…

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