Wann beginnt menschliches Leben? Teil III – mit der Geburt

Erinnern wir uns an den Moment unserer Zeugung? Erinnern wir uns an jenen Moment, in dem unser Primitivstreifen entstand oder unser Großhirn? Nein! Wenn wir uns an etwas erinnern, dann ist es die Geburt. Sie ist die früheste Erfahrung, die wir machen, der Moment, in dem wir die schützende Höhle des mütterlichen Bauches verlassen und die Wärme, die Geborgenheit dieses Ortes ersetzt wird durch die Erfahrung der Welt. Letzteres kann, davon sind so manche Psychologen überzeugt, eine traumatische Erfahrung sein, verbunden mit der Erfahrung von Kälte, grellem Licht… So oder so: Es ist die erste unmittelbare und eigene Erfahrung, die wir machen. Deshalb gilt, dass die Geburt der Moment ist, in dem aus menschlichen Leben ein menschliches Wesen, ein Individuum wird. Ab diesem Zeitpunkt (inklusive Durchtrennung der Nabelschnur) gibt es einen neuen selbstständigen und selbstbestimmten Menschen, eine Person. Diese Person kann zwar im Gegensatz zum Erwachsenen weder politisch aktiv sein oder Verantwortung für ihr Tun übernehmen, aber sie hat ab der Geburt zumindest schon Verfügungsgewalt über den eigenen Körper, kann sich äußern (wenn auch aus Sicht der Erwachsenen noch recht unartikuliert)…

young adult man holding a newborn baby in hospital

Drehen wir das Ganze um, so ist es auch aus der Sicht der Erwachsenen, der Welt an sich, ähnlich. Wir feiern, so Volker Gerhardt, der zentrale Verfechter dieses Ansatzes, nicht die erfolgreiche Zeugung, die Entstehung des Großhirns oder das erste Strampeln, das die Mutter spürt, sondern die Geburt und das nicht ohne Grund: Erst mit der Geburt erleben auch wir die Außenstehenden und selbst die Mutter das Kind als eigenständiges Gegenüber. Erst angesichts des Neugeborenen können wir uns Gedanken machen, über das, was es uns mit seinem Schreien sagen will, wem es jetzt ähnlicher sieht und wir können gar schon versuchen, aus seinem Verhalten Charakterzüge abzuleiten…

Damit sollte eines klar geworden sein: Die Zeit vor der Geburt ist eine Zeit der Projektionen: Wir sehen – im (fiktiven) Mikroskop – eine befruchtete Eizelle, dann einen Embryo, dann ein Ultraschallbild und wir sehen doch nur das, was wir selbst sehen wollen – einen Zellhaufen, den lang ersehnten Stammhalter… Und sicher, es ist wohl schon so, dass im Moment der erfolgreichen Verschmelzung der Vorkerne, schon vieles von dem angelegt ist, was sich dann weiter entwickelt, aber erst mit der Geburt wird dies wahrnehmbar, weil erst nach der Geburt das neue Wesen sich auch als solches eigenständig verhält.

Ultrasound picture of baby isolated. Ultrasound scan of a twenty four week old fetus in a profile view lying on its back and sucking finger. Ultrasound of baby in pregnant woman.

Ultrasound picture of baby isolated. Ultrasound scan of a twenty four week old fetus in a profile view lying on its back and sucking finger. Ultrasound of baby in pregnant woman.

Weil dem so ist, macht es auch keinen Sinn, dem Sein vor der Geburt schon die Grundrechte zuzusprechen oder es insgesamt grundsätzlich zu schützen. Es ist ein Sein, das nur in Abhängigkeit von der Mutter lebt, das sich gesund ernährt, wenn die Mutter sich gesund ernährt, dass erregt ist, wenn die Mutter erregt ist… Nicht ohne Grund hat deshalb auch der deutsche Gesetzgeber es dem Willen der Mutter überlassen, ein Kind abzutreiben, wenn sie es nicht will. Aus demselben Grund aber sollte der deutsche Gesetzgeber dann auch konsequenterweise Embryonenforschung etc. zulassen.

 

 

 

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