Gerechtigkeit – ein Leitbegriff biblischer Ethik I

Wenn eine Großmutter ihren zwei Enkeln mit den Worten „Teilt sie gerecht“ eine Tüte Bonbons gibt, dann kann man bei kleineren Kindern darauf warten, dass es Streit gibt oder eines beleidigt ist. Die Kinder werden nämlich versuchen, genau zu sein und das heißt: Sie werden nicht nur einfach halbe halbe machen, sie werden versuchen jede Geschmacksrichtung fair zu verteilen. Was aber, wenn sich die Bonbons nicht mathematisch gerecht teilen ließen. Dann beginnen schon Kinder anderen Kriterien heranzuziehen, wie etwa „Ich bin die Ältere“ oder „Du hast gestern schon Bonbons bekommen und ich nicht“ oder „Mich mag die Oma aber mehr als Dich!“.

Auseinandersetzungen um die Gerechtigkeit begleiten uns unser ganzes Leben. Wir vergleichen unsere Noten in der Schule mit anderen und fragen uns „Ist das gerecht?“. Wir schauen auf unseren Gehaltszettel und denken darüber nach, ob es gerecht ist, wenn wir, die wir hart arbeiten, viel weniger Lohn bekommen als ein Manager in der Bank, der doch nur ein bisschen Aktien kauft und verkauft. Wir lesen von einem Verbrechen in den Nachrichten und fordern, dass der Verbrecher eine gerechte Strafe erhalten soll.

Doch, was ist gerecht? Nimmt man die angedeuteten Beispiele zum Anlass dieser Frage nachzugehen, so wird, wenn wir ehrlich sind, sehr schnell deutlich, dass wir im Alter nicht mehr über Gerechtigkeit wissen als Kinder. Gerechtigkeit scheint ein Begriff zu sein, der sich nicht fassen lässt. Was der eine als gerecht empfindet, hält der andere für ungenügend. Während der eine glaubt, dass sich Gerechtigkeit zumindest in materieller Hinsicht messen und berechnen lässt, lassen verletzte Gefühle dem anderen überhaupt keine Ruhe und damit auch keine Gerechtigkeit zu. Überhaupt fällt eines auf: Wir nehmen im Normalfall unsere Gefühle, unsere Meinung als Maßstab, um zu urteilen: Das ist gerecht! Das bedeutet aber auch: Es geht oft gar nicht um Gerechtigkeit, sondern um die Wiederherstellung dessen, was nach unserer Meinung richtig ist. Und so scheitern wir immer wieder an der Aufgabe, eine gerechte Lösung für ein Problem zu finden.

Oft ist es daher so, dass Mächtigere oder eine Mehrheit nach ihren Werten über andere hinweg entscheiden, was die gerechte Lösung für eine Problem ist. Vielleicht ist das der Grund, warum in allen Kulturen dieser Welt Gerechtigkeit eine Sache der Götter ist. Auch sie treffen eine Entscheidung, die der Mensch als gerecht zu akzeptieren hat, sei es, indem sie in das Leben der Menschen oder in das Weltgeschehen eingreifen, sei es nach dem Tod im Gericht. Doch während die Entscheidungen, die die Götter insbesondere in den antiken Kulturen der Griechen, Römer oder Germanen treffen, gelegentlich doch recht willkürlich zu sein scheinen, finden sich in der Bibel klare Leitlinien zur Definition des Begriffs Gerechtigkeit. Sie nehmen ihren Ausgang bei einem Bekenntnis: Gott ist der Gerechte!

  • Gott, so beginnt die Bibel, gab dem Menschen eine Welt, die paradiesisch war, perfekt, um darin zu leben. Ungerecht ist es also, wenn wir, etwa durch Raubbau an der Natur, die Lebensgrundlagen von Menschen zerstören.
  • Gott schuf uns Menschen und gab uns einen Auftrag: Behauen, bewahren und beherrschen. Ungerecht ist es also, wenn Menschen nicht die Möglichkeit haben, einen, ihren Gott gegebenen Gaben entsprechenden anspruchs- und sinnvollen Beruf auszuüben, weil man ihnen zum Beispiel den Zugang zu Bildungseinrichtungen vorenthielt.
  • Gott schuf uns alle als Ebenbild seiner selbst. Ungerecht ist es also, wenn Menschen ausgegrenzt, gemobbt oder auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu einer Rasse, einem Volk, einem Geschlecht oder aufgrund einer Behinderung abgewertet werden.
  • Gott schuf uns alle als Ebenbild seiner selbst. Er gab uns allen, genug, damit jeder mit seiner Familie ein glückliches Leben führen kann. Ungerecht ist es daher, wenn Reiche auf Kosten von Anderen immer reicher werden, wenn die die ein Schicksalsschlag im Leben getroffen hat (z.B. Kinder, die ihre Eltern verloren haben) links liegen gelassen werden.