Gerechtigkeit – ein Leitbegriff biblischer Ethik II

Besonders wichtig ist Gott, im Hinblick auf die Gerechtigkeit der soziale Bereich. Dies wird nicht nur deutlich, wenn man die biblischen Propheten liest, auch die 10 Gebote haben diese Ausrichtung. Sie sind, dies zeigt schon die Einleitung zu den 10 Geboten, dazu gedacht, Verhältnisse zu verhindern, wie sie das Volk Israel in Ägypten erlebte. Sie sollen die Ausbeutung Schwacher, die Vernachlässigung Benachteiligter verhindern und beschneiden deshalb ganz gezielt das Recht des Stärkeren. Deshalb wird in den 10 Geboten gefordert, dass alte Menschen (Vater und Mutter) geehrt und nicht vernachlässigt werden sollen. „Du sollst nicht begehren“ zielt auf den Schutz des Existenzminimums und soll verhindern, dass Reiche, Mächtige sich den Besitz und das Leben der einfachen Menschen aneignen.

Gott der Gerechte, ist, dies darf man auch nicht vergessen, nicht passiv. Er segnet Menschen, die gerecht sind, also nach seinen Leitlinien leben, wie etwa Abraham oder Hiob mit einem langen Leben und er bestraft die, die sich nicht daran halten. Gerade das Volk Israel bekommt dies im Alten Testament mehrfach zu spüren. Gott, der Richter, straft sein Volk, wenn es Arme ausbeutet und die Witwen und Waisen hungern lässt. Er schickt Naturkatastrophen oder gar fremde Armeen, die Israel zerstören und das Volk Gottes bestrafen.

Jesus wiederum, lebt den Menschen vor, was Gott unter Gerechtigkeit versteht. Und spätestens hier wird deutlich, dass es nicht darum geht, Gerechtigkeit herzustellen, in dem Sinne, dass ich zu meinem Recht komme, sondern, dass wir, wie Jesus, versuchen sollten, gegen das Unrecht und das Leid zu kämpfen, das andere ertragen müssen. Kämpfen, dieses Wort ist an dieser Stelle bewusst gewählt, denn Gerechtigkeit bedeutet Leidenschaft, vollen emotionalen Einsatz. So ist das bei Gott im Alten Testament, der leidenschaftlich wird, wenn wir, seine Ebenbilder, nicht so handeln, wie dies ein gutes Ebenbild tun sollte und so ist dies bei Jesus. Er setzt sich intensiv, aufopferungsvoll für die Benachteiligten, die Schwachen, die Kranken und die Ausgegrenzten ein. Dafür opfert er sein Leben! Und das sollte Christen ein Vorbild sein!

In diesem Zusammenhang sehr spannend ist das Gespräch, das Jesus mit dem reichen Jüngling führt (Mt 19, 16ff), dem er sagt: „Geh hin, verkaufe, was du hast, und gib’s den Armen“. Deinen ganzen Besitz und schenke ihn den Armen. Schülerinnen und Schüler reagieren auf diesen Impuls von Jesus schnell und intuitiv. Sie sagen dann: Na toll, wenn ich alles, was ich habe, den Armen gebe, dann ist doch das Problem der Armut nicht gelöst. Dann gibt es nur einen neuen Armen, nämlich mich! Damit haben sie vermutlich im materiellen Sinne sogar recht und der Mann sah das ja bekanntlich genauso, weshalb er von Jesus zu hören bekam: „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme“.

Nicht nur die Schülerinnen und Schüler, sondern auch die Jünger hat diese Reaktion von Jesus entsetzt. Denn Jesus fordert hier nicht nur einen Perspektivwechsel zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit – im Sinne von: Versetze Dich in die Situation der Armen hinein – sondern einen Wechsel der eigenen Lebensperspektive: Verzichte zur Wiederherstellung von Gerechtigkeit auf Dein Recht im juristischen und ethischen, aber auch im materiellen Sinne, also auf Deinen Besitz, selbst wenn er hart und ehrlich erarbeitet wird. Zeige damit, dass es Dir wirklich ernst ist mit der Idee, Gerechtigkeit wiederherzustellen oder anders gesagt, dafür zu sorgen, dass wir alle wirklich wieder gleich sind, so wie es die Ebenbilder Gottes untereinander sein sollten.

Die Forderung Jesu ist eine radikale Herausforderung, bricht sie doch voll mit dem, was wir an Verhalten gewohnt sind. Sie ist in dem Sinne vergleichbar mit der Forderung Jesu, dem, der dich auf die Wange schlägt, die andere Wange hinzuhalten. Auch das ist eine große, für uns oft unmöglich zu erfüllende, Herausforderung.

Jesus verbindet diese Forderung deshalb auch mit einem weiteren Gedanken: Glaubt, vertraut auf Gott, der Euch helfen wird. Dann könnt ihr Berge versetzen und die Welt wirklich verändern. Damit ist ein letzter Aspekt benannt, der zur Gerechtigkeit dazugehört: Der für manche utopische Glaube an Gott, der mit Jesus begonnen hat, sein Reich auf Erden wieder zu erbauen, eine Welt, in der es für alle gerecht zugeht. Dieser Glaube ist die Kraft, die uns helfen kann, Gerechtigkeit zu leben. Wir sollten es zumindest versuchen und darauf hoffen, dass Gott der Richter am Ende der Zeiten das Werk vollenden wird, das Jesus begonnen hat und das wir, zumindest versucht haben, weiter fortzuführen.