Von der Freiheit eines Christenmenschen II

Martin Luther widmet die Schrift “Von der Freiheit eines Christenmenschen” dem Adel. Er spricht beim Reichstag zu Worms vor Adligen und Geistlichen, aber seine Botschaft kommt auch bei den einfachen Menschen an. Jene nehmen Ideen, wie die von der Freiheit des Christenmenschen gerne auf. Dabei kommt es jedoch, ohne dass Luther das gewollt hätte, zu einer politischen Interpretation. Notleidende, ausgebeutete Bauern, unterstützt und ermuntert durch radikale Theologen wie Thomas Müntzer, Andreas Bodenstein (Karlstadt) deuten den Gedanken von der Freiheit des Christen als Auftrag zum Handeln und machen sich daran, die Verhältnisse radikal zu verändern. So trägt Martin Luther zumindest insofern eine Mitschuld an dem Bauernaufstand im Jahr 1525, als er nichts gegen eine radikale und politisierende Deutung seiner Botschaft unternimmt.

Graefin_Helfenstein_von_Matthaeus_Merian_d_Ae(Gräfin Helfenstein bittet um Gnade für ihren Mann; im Hintergrund hat der Spiesrutenlauf schon begonnen)

Für diese passive Haltung Luthers gibt es sicherlich mehrere Gründe. Luther will letztendlich nur die Kirche reformieren, nicht die deutsche Gesellschaft. Er ist Theologe, kein Politiker. Er hat zudem viel Verständnis für die Situation der Bauern und ermahnt deshalb die Fürsten zum Frieden. Als es aber zur Weinsburger Bluttat kommt, muss er Stellung beziehen, und er tut dies, in dem er ganz nach dem Vorbild des Paulus, die Christen, in diesem Falle die Fürsten und die Bauern an ihre Verantwortung in der Welt erinnert, mit einem Gedanken, den er schon in seiner Schrift “Von der Freiheit eines Christenmenschen” formuliert und den er immer als gleichwertige Ergänzung neben den Satz von der Freiheit gestellt hatte:

Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan.

und

indem er sich im Bauernaufstand mit der Schrift “Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern” deutlich auf die Seite der Fürsten stellt – aus historischer Sicht eine Entscheidung, die zwar einerseits den Fortbestand der reformatorischen Bewegung sichert, andererseits aber fatale Folgen für das Luthertum hat: Luther liefert das Vorbild für die bei vielen Lutheraner zu beobachtende Obrigkeitstreue, die das Luthertum auch im Dritten Reich lähmt.

Dabei, das muss hier gerade mit Blick auf die anderen reformatorischen Strömungen, insbesondere die Reformierten, betont werden, bestand noch eine weitere Möglichkeit, den Satz von der Freiheit des Christenmenschen (zuzüglich der Vorstellung vom allgemeinen Priestertum aller Gläubigen) zu deuten: Als starker Impuls für die Idee von der Gleichheit aller Menschen und damit für die Demokratie. Zumindest in den reformierten Gebieten wird letztere tatsächlich schon mit Einführung der Reformation erprobt.