Wann beginnt menschliches Leben VIII – wenn zukunftsbezogene Wünsche nachweisbar sind

Speziesismus mit diesem Begriff beschreibt der Präferenzutilitarismus, prominent vertreten durch P. Singer, eine neue (und doch eigentlich sehr alte) Form menschlichen Fehlverhaltens. Speziesismus steht in einer Reihe mit Rassismus und Sexismus, ist eigentlich ebenso absolut verwerflich, wird aber ebenso immer wieder leider praktiziert. Speziesismus, das ist die Idee, dass etwas, was menschliche Gene hat, etwas Besonderes sei, schützenswert, Träger von Menschenrechten… Dies ist, folgt man dem Präferenzutilitarismus ebenso wirr und falsch, wie zu glauben, dass ein Farbiger ein schlechterer Mensch sei, als ein Weißer. Oder anders gesagt: Was im Hinblick auf Rassismus und Sexismus gilt, sollte auch in Bezug auf den Speziesismus gelten: Nicht etwas Ontologisches wie die Hautfarbe, das Geschlecht oder eben die Anwesenheit menschlicher Gene macht den Menschen zum Menschen, sondern sein Person sein ist es, das ihn zum Menschen macht.

Ab wann menschliches Leben beginnt ist deshalb, um Speziesismus zu verhindern, nicht ontologisch, sondern moralisch zu definieren. Eine geeignete Leitfrage wäre dabei: “Welche Eigenschaften sind für uns in Bezug auf das Töten von Lebewesen bedeutsam”. Schnell kommt man hier auf Begriffe, die recht konsensfähig sind: Ist das Lebewesen sich seiner selbst bewusst, hat es Wünsche und Interessen?

Hier ist nun freilich noch Präzision gefragt: Pflanzen, Tiere sind sich in gewisser Weise ihrer selbst und ihrer Umgebung bewusst. Sie haben auch den Wunsch zu überleben. Trotzdem töten wir sie regelmäßig, etwa auf der Suche nach Nahrung. Wir haben zwar manchmal Skrupel, etwa wenn uns das Tier mit treuen braunen Augen anschaut – aber wissenschaftlich besehen sind das nur Projektionen von unseren Gefühlen in das Tier hinein. Wirklich verwerflich ist für uns das Töten von Lebewesen erst dann, wenn klar ist, dass das betreffende Tier ein echtes Bewusstsein von sich selbst, von Zeit und Raum hat, wenn wir nachweisen können und sicher wissen, dass es sich erinnert, dass es seine Zukunft planen kann, dass es Wünsche für die Zukunft hat. Bei Delfinen etwa ist dies der Fall.

shutterstock_388057081

Bezogen auf den Menschen heißt dies: Nach ehrlicher, objektiver und wissenschaftlicher Erkenntnis, ist weder die befruchtete Eizelle, noch der Embryo und auch nicht das Neugeborene besonders schützenswert. Sie gehören zwar zur menschlichen Spezies, haben das Potential sich zu einer Person zu entwickeln, aber sie sind es (noch) nicht. Denn, was unterscheidet das Baby von einer Schnecke – nichts. Das Baby ist sich, wie die Schnecke seiner Umgebung grob bewusst. Die Schnecke und das Baby haben Wünsche, z.B. wollen beide essen. Über diese primitiven Wünsche und Formen des Bewusstseins geht es jedoch nicht hinaus und so macht es keinen Unterschied, ob ich eine Schecke töte oder ein Baby: Ich zerstöre ein Leben, dass Essen will, das Wärme sucht… nicht mehr (auch wenn das Baby vielleicht in der Zukunft mal anders sein könnte).

shutterstock_219618424

Damit verschiebt sich der Beginn des menschlichen Lebens, insofern es als schützenswert zu betrachten ist, als Träger von Menschenrechten – in der Terminologie des Präferenzutilitarismus – des Personseins nach hinten in das Kleinkindalter. Erst hier sind zukunftsbezogene und zunehmend abstraktere Wünsche und Interessen nachweisbar.

Nachtrag: Bitte beachten: Delfine und einige andere Tiere sind für Präferenzutilitaristen ebenso Personen und damit grundsätzlich genauso schützenswert wie ein Jugendlicher oder Erwachsener Mensch…

Präferenzutilitarismus (Singer)

Für manche ist Peter Singer ein Held, denn er ist einer der Väter der modernen Tierrechts- und Tierschutzbewegung, ein unermüdlicher Kämpfer für den Schutz bedrohter Arten; für andere wiederum ist er der gefährlichste Mann der Welt, einer der die Argumente für moderne Euthanasieprogramme liefert, etwa für die Tötung geistig behinderter Kinder…

Peter_Singer_MIT_Veritas

Singer provoziert, er fordert uns zu einer Auseinandersetzung mit dem Thema auf, das die Basis eines jeglichen ethischen Systems sein sollte: Das Menschenbild. Er tut dies, weil er zahllose Widersprüche in der vorfindlichen Alltagsethik konstatiert, weil er Haltungen entdeckt, die Traditionen folgen, die heute nicht mehr so haltbar sind und vor allem zahllose letztlich subjektive Positionen. Mit welchem Grund etwa ist in Deutschland die Abtreibung bis zum dritten Monat erlaubt? Was spricht für das Ende des dritten Monats? Warum ist dann aber bei entsprechender Indikation eine spätere Abtreibung doch möglich? Wieso ist es legitim ein geistig behindertes Kind im Bauch der Mutter zu töten, wieso wäre es aber andererseits eine Straftat, würde man ein neugeborenes geistig behindertes Baby töten? Weil letzteres ein paar Monate älter ist? Weil das eine noch unsichtbar im Bauch der Mutter ist, das andere aber uns mit einem menschlichen Gesicht anblickt? Vor dem Hintergrund dieser widersprüchlichen Haltungen, die sich noch leicht ausdehnen ließen auf unserer Wertschätzung unterschiedlicher Tierarten, ist Singers Ansatz zu verstehen als die Suche nach einem in sich konsistenten Menschenbild als Basis einer ethischen Theorie. Zwei Optionen scheinen ihm hier dann theoretisch möglich:

Embryo als Modell in Reagenzglas als Symbolbild für Embryonenforschung

Eine Möglichkeit wäre, die Lehren der jüdisch-christlichen Tradition ernst zu nehmen und zu sagen: Alles Leben ist heilig, von Gott. Der Mensch wäre dann ein heiliges Geschöpf unter vielen anderen heiligen Geschöpfen. Ihm wäre es konsequenterweise nicht nur verboten, andere Lebewesen zu töten, auch jeder Eingriff in die heilige Schöpfung, also z.B. die Verhinderung der Nidation menschlicher Eizellen oder die genetische Manipulation von Pflanzen wäre eine Sakrileg. Dieser Ansatz wäre für Singer durchaus denkbar, denn er wäre von überzeugender Konsequenz, aber Singer versteht den Menschen nicht von Gott her. Er will seiner Theorie Maßstäbe zugrunde legen, die empirisch nachweisbar, vernünftig begründbar sind. Die Evolution bietet ihm deshalb die bessere Basis, um dieses Thema zu lösen.

Im Kontext der Evolution wiederum wird deutlich, dass es eine Reihe von Lebewesen gibt, die die Natur mit
Neugier,
Vernunft,
der Fähigkeit abstrakte und komplexe Vorstellungen über eine Zukunft zu entwickeln,
ausgestattet hat. Diese Lebewesen haben ein Bewusstsein über sich selbst, sowie über Raum und Zeit. Sie nennt Singer Personen. Sie sind das Zentrum seiner Ethik, denn sie allein sind zu ethischen Entscheidungen fähig. Sie allein sind im Rahmen einer ethischen Abwägung dann auch zu schützen. Die Personen sollten ethische Entscheidungen nach den Prinzipien des klassischen Utilitarismus fällen. Wobei sie – dieses Vertrauen hat Singer – nicht einfach Glück als ihren Maßstab ansetzen, sondern Präferenzen – sprich höhere, abstraktere Vorstellungen von einer guten Zukunft.

Wer nun sind Personen? Aufgrund empirischer Beobachtung sind dies:

Affen, Delphine oder Krähenvögel und menschliche Jugendliche sowie Erwachsene.

Nicht aber: menschliche Embryonen, demente Menschen, geistige Behinderte…

Lesetipp: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/im-gespraech-peter-singer-sind-sie-der-gefaehrlichste-mann-der-welt-11108221.html