Wann beginnt menschliches Leben? Teil VI – mit Ausschluss der Zwillingsbildung

Thomas v. Aquin, dem großen Scholastiker verdanken wir eine sehr klare und wirksame Definition des Begriffes Person: Eine Person ist ein Individuum, das fähig ist, seinen ganzen Lebenszyklus mit durchhaltender Identität zu erleben. Oder anders gesagt: Ich nehme mich jetzt als Schreiber dieses Blogs wahr und ich weiß im selben Moment auch, dass ich derselbe bin, wie der, der im Jahr 1998 für mehrere Monate in Australien war, wie der, der sich mit 5 Jahren die Lippe so heftig aufgeschlagen hat, dass sie genäht werden musste… und ich weiß auch (ich hoffe es zumindest), dass ich morgen derselbe sein werde, wie ich heute bin.

Doch, wann beginnt diese meine durchgängige durchhaltende Identität? Ich war vermutlich schon ich als ich zwei Jahre alt war, nur, daran erinnere ich mich nicht mehr (obwohl es, folgt man der Psychologie, hier möglich sein sollte alte Erinnerungen wieder zu erwecken). Ich erinnere mich sehr wohl an die Stimme meiner Mutter, ich erinnere mich jedoch nicht daran, dass ich mir diese schon in ihrem Bauch gemerkt habe (Wissenschaftler gehen allerdings davon aus, dass wir das können). Es ist also sehr schwer über Erinnerungen oder ein Nachdenken über das eigene Ich einen korrekten Anfang der eigenen Identität zu finden.

Damit ist eines klar: So sehr dieser Ansatz zur Definition des Begriffes Person unserer eigenen Selbstwahrnehmung entspricht, so schwer ist es, einen objektiven Punkt zu benennen, an dem unsere durchgängige Identität beginnt und der dann, im Idealfall, auch noch für alle gleich ist. Zum Glück kommen uns an dieser Stelle Beobachtungen der Biologen über die Qualität und Fähigkeiten der ersten menschlichen Zellen, nach der Verschmelzung der Vorkerne zur Hilfe.

So sind die ersten aus der befruchteten Eizelle entstehenden Zellen omnipotent, sie können alles werden, alles sein. Nicht zufällig ist es in dieser Phase der Entwickung auch noch jederzeit möglich, dass Zwillinge entstehen. Erst nach Abschluss der Gastrulation, mit der Entstehung der drei Keimblätter, der Neuralplatte und nicht zuletzt mit der Entstehung des ersten Organs, des Blutsystems, hat sich etwas Entscheidendes verändert: Gab es vorher nur ein Beiandersein von fusions- und entwicklungsfähigen Zellen, so ist gegen Ende der dritten Woche ein neues Individuum ins Dasein getreten. Ab jetzt existiert eine Einheit, der sich die einzelnen Zellen mit ihrem Entwicklungspotential unterordnen, sie spezifizieren sich immer mehr für das Wohl der Einheit.

Zwei Dinge sind für die Festlegung auf diesen Zeitpunkt entscheidend: Die Entstehung eines ersten , die Einheit verbindenden und stärkenden Organs und noch vorher die Bildung des Primitivstreifens, der die Basis für die Einheit ist. Entsteht er nicht, so entsteht gar nichts, entstehen zwei, so entstehen Zwillinge … in jedem Fall aber, ist er das Band, dass die einzelnen Zellen mit ihren Entwicklungsmöglichkeiten integriert und zu einem Organsimus formt.

shutterstock_242221150

Damit ist eine klare Grenze gesetzt, wann menschliches Leben beginnt. Mit der Bildung des Primitivstreifens beginnt die durchhaltende Identität, entsteht die Person. Folgt man dem Theologen N.M. Ford dann macht es auch Sinn anzunehmen, dass erst in diesem Moment die Beseelung stattfindet. Vorher ist der Mensch noch nicht. Vorher gibt es nur ein Vorstadium zum Menschen, aus dem sich noch alles entwickeln kann, z.B. eben auch zwei Menschen…

Thomas v. Aquin – der Mensch und der Tod

Die Bibel steckt voller Mysterien, geheimnisvoller, rätselhafter Ereignisse und Aussagen. Man denke hier nur an Genesis 1,7, jene Stelle, in der beschrieben wird, wie Gott den Menschen aus Ackererde formt und ihm dann den Odem (Atem) des Lebens in seine Nase bläst, um ihn zum lebendigen Wesen zu machen. Mysterien, wie diesen, also der Frage – was passiert hier eigentlich – wollten die Scholastiker auf den Grund gehen. Ihr Ziel war dabei zugleich zu zeigen, dass sich christlicher Glaube mit antiker Philosophie verbinden lässt, dass beide sich nicht ausschließen.

Dabei, dies darf hier nicht vergessen werden, existierte natürlich schon längst eine entscheidende Vordeutung der oben genannten Stelle, denn Juden und Christen, die im griechisch-römischen Kulturkreis sozialisiert waren, lasen hier die klassische antike Philosophie hinein, sprich sie setzten den Odem des Lebens mit der Seele nach Plato und Aristoteles gleich. Diese Gleichsetzung hinterfragten auch die Scholastiker nicht. Sie untersuchten vielmehr, welches der großen antiken philosophischen Systeme mit dem christlichen Glauben vereinbar sein könnte.

shutterstock_214271488

Sehr schnell wurde ihnen klar, dass zentrale Elemente in der Lehre Platos dem christlichen Glauben, der Bibel widersprechen. Dies gilt vor allem für die Vorstellung von einer präexistenten Seele, die die Welt der Ideen, das Göttliche, schon einmal gesehen hat,  für die Vorstellung vom Leib/Körper als Gefängnis der Seele und nicht zuletzt auch für die Idee, dass die Seele irgendwann wieder in einen Körper zurückkehren muss, weil nur so neues Leben auf der Erde entstehen kann. Umso glücklicher war man daher, bei Aristoteles zahlreiche Gedanken zu finden, die sich mit der christlichen Lehre vereinen ließen. Prägend wurde hier letztlich Thomas v. Aquin mit seiner Interpretation von Aristoteles.

Thomas v. Aquin übernimmt von Aristoteles den Gedanken, dass die Seele göttlichen Ursprungs und zugleich zu Beginn des menschlichen Lebens leer (tabula rasa), frisch, ungeprägt sei. Er sieht, wie der Philosoph, in der Seele die dem Körper Form gebende, gestaltende Kraft. Dabei erscheint der Körper nicht wie bei Plato als Gefängnis, sondern als Gegenstück zur Seele. Beide brauchen einander. Der Körper ist ohne die Seele tot und die Seele ihrerseits kann ohne den Körper ihr Wesen nicht entfalten.

Der Unterschied zwischen Thomas v. Aquin und Aristoteles liegt in der Deutung des Todes und der Zeit danach. Thomas v. Aquin wendet sich hier zuerst ganz deutlich gegen jene Interpretation von Aristoteles nach der die Geistseele nach dem Tod im allumfassenden Logos aufgeht. Für ihn, als Christen, ist das Weiterleben der Seele nur als individuelle Seele, als Einzelseele vorstellbar und mit der Bibel vereinbar. Noch wichtiger ist Thomas v. Aquin freilich ein anderer Gedanke, der deutlich über Aristoteles hinausgeht: Die Seele, die nach dem Tode und dem damit verbundenen Verfall des Körpers übrigbleibt, darf nicht gleichgesetzt werden mit dem Menschen. Sie ist nur ein Teil des Menschen, der auf seine Vervollkommnung wartet. Diese wird es geben, wenn am Jüngsten Tag Gott die Menschen von den Toten wiederauferweckt und damit wiederholt, was er am Anfang der Zeiten getan hat: Er verbindet die Seele des Verstorbenen wieder mit einem neugeschaffenen Körper.

 

Und so

Insofern geht es hier nicht um diese Gleichsetzung sondern mehr um die ref