Von der Freiheit eines Christenmenschen II

Martin Luther widmet die Schrift “Von der Freiheit eines Christenmenschen” dem Adel. Er spricht beim Reichstag zu Worms vor Adligen und Geistlichen, aber seine Botschaft kommt auch bei den einfachen Menschen an. Jene nehmen Ideen, wie die von der Freiheit des Christenmenschen gerne auf. Dabei kommt es jedoch, ohne dass Luther das gewollt hätte, zu einer politischen Interpretation. Notleidende, ausgebeutete Bauern, unterstützt und ermuntert durch radikale Theologen wie Thomas Müntzer, Andreas Bodenstein (Karlstadt) deuten den Gedanken von der Freiheit des Christen als Auftrag zum Handeln und machen sich daran, die Verhältnisse radikal zu verändern. So trägt Martin Luther zumindest insofern eine Mitschuld an dem Bauernaufstand im Jahr 1525, als er nichts gegen eine radikale und politisierende Deutung seiner Botschaft unternimmt.

Graefin_Helfenstein_von_Matthaeus_Merian_d_Ae(Gräfin Helfenstein bittet um Gnade für ihren Mann; im Hintergrund hat der Spiesrutenlauf schon begonnen)

Für diese passive Haltung Luthers gibt es sicherlich mehrere Gründe. Luther will letztendlich nur die Kirche reformieren, nicht die deutsche Gesellschaft. Er ist Theologe, kein Politiker. Er hat zudem viel Verständnis für die Situation der Bauern und ermahnt deshalb die Fürsten zum Frieden. Als es aber zur Weinsburger Bluttat kommt, muss er Stellung beziehen, und er tut dies, in dem er ganz nach dem Vorbild des Paulus, die Christen, in diesem Falle die Fürsten und die Bauern an ihre Verantwortung in der Welt erinnert, mit einem Gedanken, den er schon in seiner Schrift “Von der Freiheit eines Christenmenschen” formuliert und den er immer als gleichwertige Ergänzung neben den Satz von der Freiheit gestellt hatte:

Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan.

und

indem er sich im Bauernaufstand mit der Schrift “Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern” deutlich auf die Seite der Fürsten stellt – aus historischer Sicht eine Entscheidung, die zwar einerseits den Fortbestand der reformatorischen Bewegung sichert, andererseits aber fatale Folgen für das Luthertum hat: Luther liefert das Vorbild für die bei vielen Lutheraner zu beobachtende Obrigkeitstreue, die das Luthertum auch im Dritten Reich lähmt.

Dabei, das muss hier gerade mit Blick auf die anderen reformatorischen Strömungen, insbesondere die Reformierten, betont werden, bestand noch eine weitere Möglichkeit, den Satz von der Freiheit des Christenmenschen (zuzüglich der Vorstellung vom allgemeinen Priestertum aller Gläubigen) zu deuten: Als starker Impuls für die Idee von der Gleichheit aller Menschen und damit für die Demokratie. Zumindest in den reformierten Gebieten wird letztere tatsächlich schon mit Einführung der Reformation erprobt.

Von der Freiheit eines Christenmenschen I

Martin Luther war der, auf den viele deutsche Fürsten gewartet hatten. Sie litten unter anderem darunter, dass die katholische Kirche mit ihrem hohen Finanzbedarf, etwa für den Bau des Petersdoms in Rom, ihre Untertanen schröpfte. Da waren Luthers Predigten und Schriften gegen den Ablass sehr willkommen. Sehr gespannt warteten die Fürsten darauf, wie sich die Auseinandersetzung zwischen Luther und der katholischen Kirche weiterentwickeln würde.

Luther wiederum, der ursprünglich angenommen hatte, dass der Papst vom Ablasshandel in Deutschland nichts wusste, musste bald erkennen, dass er sich geirrt hatte. Die kritische Auseinandersetzung und Diskussion über die Missstände, die sich Luther gewünscht hatte, fanden nicht statt. Im Gegenteil: Die katholische Kirche reagierte mit Druck und ihrer schärfsten Waffe, der Androhung des Banns. Luther brauchte also Verbündete und er suchte sie bei den Fürsten. Es ist daher kein Zufall, dass sich Luther mit der Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ „An den christlichen Adel deutscher Nation“ wendet.

Sehr klar formulierte Luther dort einen Gedanken, den viele Fürsten, aber auch Städte dankbar aufnahmen: Ein Mensch, der sich Gott öffnet und die Liebe Gottes annimmt, ist ein freier Herr und niemandem untertan. Er muss sich nicht beeindrucken lassen von Äußerlichkeiten wie bischöflichen Gewändern, kirchlichen Amtstiteln oder Weihen, selbst wenn sie der Papst selbst gegeben hätte. Diese Dinge sind, so Luther, fleischlicher Natur und damit irrelevant. Entscheidend ist der Glaube und in diesem sind alle gleich, weil Gott jeden gleich liebt und annimmt.

Damit wischt Luther einen zentralen Baustein der katholischen Lehre beiseite: Die durch die „Konstantinische Schenkung“ begründete und mit dem „Gang nach Canossa“ durchgesetzte Überordnung des geistlichen (= im katholischen Verständnis kirchlichen) Standes über den sogenannten weltlichen oder Laienstand. Der Christ muss den Vorschriften und Vorstellungen der Kirche nicht folgen, um Gott zu gefallen. Er darf selbst die Bibel lesen, sie selbst deuten, er darf selbst Gebete formulieren und ethische Entscheidungen treffen. Es gibt keinen Unterschied zwischen geistlichem Stand (Pfarrer, Bischöfe, Papst) und weltlichem Stand, im Gegenteil, alle sind nach Luther in der Kirche gleich – das berühmte allgemeine Priestertum aller Gläubigen.

Luther gibt den Fürsten und Städten damit das Recht in die Hand, die Reform der Kirche selbst in die Hand zu nehmen und sich von Rom zu emanzipieren. Ein Angebot, das gerne angenommen wurde und so verlief der Reichstag zu Worms 1521 auf Druck der Fürsten anders als sich das Kaiser Karl V und der Papst (bzw. sein Nuntius) vorgestellt hatten. Luther bekam den Raum, den er brauchte, um seine Ansichten darzustellen und, auch wenn er den Kaiser und den päpstlichen Nuntius nicht überzeugen konnte, viele Anwesende beeindruckte er durch seine Haltung, in der er die Freiheit des einzelnen Christen zum Ausdruck brachte: Ich unterwerfe mich nicht einfach der Autorität der Kirche oder der Tradition. Ich will überzeugt sein, durch Gründe aus der Schrift und der Vernunft, die ich auch mit meinem Gewissen vereinbaren kann.

Die Kirche und der Krieg – Teil II

Die Geburt Jesu fällt in eine Zeit, in der sich das Land Israel immer mehr zu einem Pulverfass entwickelte, das dann 66 n.Chr. (Beginn des jüdisch römischen Krieges) auch tatsächlich explodierte. Die Juden litten spürbar unter den alltäglichen Auswirkungen der römischen Besetzung, unter dem Recht römischer Soldaten, die einheimische Bevölkerung als Träger zu requirieren (siehe Mt. 5,41), unter den Steuern… Dazu kam eine Reihe von Taten römischer Statthalter, die aus jüdischer Sicht massiven Provokationen gleichkamen. Durchaus typisch ist, was von Pontius Pilatus berichtet wird:

Eccehomo1

Frisch ins Amt des Statthalters für Jeusalem eingesetzt, ließ Pontius Pilatus Feldzeichen mit dem Bild des Kaisers in die Stadt bringen. Ihm war bewusst, dass die jüdischen Gesetze Bilder von Göttern und Menschen verboten, ihm war bewusst, dass seine Vorgänger schon ähnliches versucht hatten und am massiven Widerstand der Bevölkerung gescheitert waren, trotzdem versucht er es. Flavius Josephus zufolge kam es, wie es kommen musste: Die Menschen protestierten.

Der Statthalter versuchte den Protest zuerst mit Gewalt zu unterdrücken, dann ließ er sich scheinbar auf Gespräche ein und bat zur Diskussion seiner Maßnahme in die städtische Rennbahn zu kommen. Doch das war ein Trick, denn kaum hatten sich die Protestierenden in der Rennbahn versammelt, schnappte die Falle zu: Soldaten umzingelten die Menge. Womit Pilatus jedoch nicht gerechnet hatte, war, dass auch die Juden sich vorbereitet hatten. Sie suchten ihr Heil nicht in der Flucht oder im Kampf, sie knieten sich hin, entblößten ihren Nacken und warteten geduldig auf ihre Enthauptung. Da Pilatus es sich nicht leisten konnte, ein Massaker zu begehen, gab er zähneknirschend klein bei. Die Feldzeichen wurden aus der Stadt entfernt.

Doch es dauerte nicht lange, da folgte die nächste Provokation: Um eine Wasserleitung zu finanzieren, die Jerusalem versorgen sollte, beschlagnahmte er Geld aus dem Tempelschatz. Den Widerstand, der sich gegen diese Maßnahme richtete, erstickte er mit Gewalt. Völlig willkürlich handelte Pilatus schließlich, als sich, angelockt von der Botschaft eines Propheten, auf dem Berg Garizim seien heilige Geräte aus der Zeit des Mose begraben, eine große Menschenmenge auf dem  Garizim versammelte. Er ließ Soldaten aufmarschieren, die die Versammlung mit Gewalt sprengten.

Die Menschen in Israel reagierten auf diese Erfahrungen in unterschiedlicher Art und Weise: Während die einen fest daran glaubten, dass Gott selbst sein Volk durch einen Messias retten werde, sobald alle Juden einen Tag lang Gottes Gebote genau halten (Pharisäer), zogen sich die anderen ganz aus dieser Welt zurück, gingen in die Wüste, um dort in Reinheit und Abgeschiedenheit auf andere Zeiten zu warten (Qumran-Essener) und wieder andere gingen in den Untergrund und kämpften gegen die Römer (Zeloten).

Immer wieder wurde und wird Jesus, und noch mehr sein Jünger Judas mit letzteren in Verbindung gebracht. Dies liegt daran, dass die Zeloten glaubten, Gott werde einen königlichen einen Kriegermessias schicken, der das Volk um sich sammelt, der nach ersten Erfolgen im Kampf gegen die Römer (hier fehlt eine Analogie im Leben Jesu) nach Jerusalem kommt, um als neuer König (siehe dazu auch den Einzug Jesu in Jerusalem, Jesus zieht ein, wie ein König nach alttestamentlicher Tradition einziehen sollte und wird auch vom Volk entsprechend gefeiert) das Volk gegen den Feind zu führen (die Tempelreinigung, in der Jesus ja durchaus nicht gerade friedfertig auftritt, wäre somit eine erste Amtshandlung des Messias nach zelotischer Lesart).

468px-Simon_(Caravaggio)(Simon Zelotes)

Freilich sollte, nach den Erwartungen der Zeloten, nicht alles glatt gehen. Sie rechneten im Gegenteil mit einer Krise, in der der Feind übermächtig wird und alles zu scheitern droht (Verrat des Judas, Verhaftung Jesu…). Erst durch das rettende direkte Eingreifen Gottes wird die Krise beendet und der Messias tritt mit der Unterstützung Gottes seinen Siegeszug an. Soweit die Vorstellungen und Hoffnungen der Zeloten. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig zu wissen, dass es Messiasse dieser Art wohl mehrere gab. Sie alle scheiterten nach anfänglichen Erfolgen, keinem kam Gott zu Hilfe. Entsprechend abgeklärt reagiert der Phariäer Gamaliel auf die Tatsache, dass sich die Jesusbewegung nach dem Tod Jesu nicht sofort zerstreut hat:

Da meldete sich im Rat ein Pharisäer namens Gamaliël zu Wort, ein Gesetzeslehrer, der beim ganzen Volk in hohem Ansehen stand. Er verlangte, dass die Angeklagten vorübergehend aus dem Saal gebracht werden, und sagte dann zu dem versammelten Rat: „Ihr Männer aus Israel, seid vorsichtig und überlegt euch gut, wie ihr mit diesen Leuten verfahren wollt. Vor einiger Zeit trat Theudas auf und behauptete, eine besondere Sendung zu haben. Etwa vierhundert Männer schlossen sich ihm an; aber dann fand er den Tod, seine Anhänger liefen auseinander und alles war zu Ende. Danach kam zur Zeit der Volkszählung der Galiläer Judas und rief zum Aufstand auf. Er brachte eine stattliche Schar von Anhängern zusammen; aber auch er kam um, und alle, die ihm gefolgt waren, wurden auseinander getrieben. Darum rate ich euch: Geht nicht gegen diese Leute vor! Lasst sie laufen! Wenn das, was sie wollen und was sie da angefangen haben, nur von Menschen kommt, löst sich alles von selbst wieder auf. Kommt es aber von Gott, dann könnt ihr nichts gegen sie machen. Wollt ihr am Ende als Leute dastehen, die gegen Gott kämpfen?“ Die Ratsmitglieder gaben Gamaliël Recht. Sie riefen die Apostel wieder herein, ließen sie auspeitschen und verboten ihnen, weiterhin von Jesus zu sprechen und unter Berufung auf seinen Namen öffentlich aufzutreten. Dann ließen sie sie frei. Apg. 5,34-40

In diesem, hier nur grob beschriebenen, Kontext ist Jesus mit seiner Botschaft einzuordnen und, genau das gelingt nicht. Er passt weder zu den Vorstellungen der Zeloten noch zu denen der anderen Gruppen zur Zeit Jesu. Seine Botschaft ist anders:

  • Liebe deine Feinde
  • Demütigungen begegne mit Gleichmut (wenn Dich einer auf die eine Backe…)
  • Begegne denen, die dich unterdrücken, die dich ausbeuten mit Liebe
  • Vergib denen, die dir Unrecht tun…

Es sind Botschaften des Friedens, der Versöhnung, in einer aufgeheizten, gewaltdurchdrungenen Zeit und Gegend. Botschaften, die sich nicht nur Christen, sondern auch andere – man denke nur an Gandhi, zum Vorbild nahmen, um die Verhältnisse in seiner Welt grundlegend zu verändern. Durch diese Botschaften ist Jesus in seiner Zeit aus dem Rahmen gefallen. Seine Jünger und die bald entstehenden ersten christlichen Gemeinde haben sie gelebt und umgesetzt.

 

Die evangelische Kirche und das Dritte Reich IV – Barmen

Die Deutschen Christen prägten ab 1933 das öffentliche Erscheinungsbild der evangelischen Kirche. Ihre Stimme, ihre Interpretation des Christentums wurde im Rundfunk, in Festakten mit kirchlicher Beteiligung und in vielen Gottesdiensten laut. Aber man durfte ihnen das Feld nicht überlassen! Eine Mehrheit jener Pfarrer, die sich im Pfarrernotbund zusammengefunden hatten, um gegen die durch die Deutschen Christen geplante Einführung des Arierparagraphen in der Kirche zu protestieren, dachte so. Es war Zeit für ein öffentliches, gegen die Lehre der Deutschen Christen, aber auch gegen die Theologie der Schöpfungsordnungen gerichtetes Bekenntnis.

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Unter Federführung von K. Barth, Th. Breit und H. Asmussen, traf man sich daher vom 29.5. bis zum 31.5.1934 in Barmen und formulierte dort die “Theologische Erklärung zur gegenwärtigen Lage der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK)”, die dann als Barmer Erklärung bekannt wurde. Sie richtete sich, dies sei hier nochmals betont,  gegen die Deutschen Christen und nicht gegen den Führer und den NS-Staat. Sie führte zur Entstehung der Bekennenden Kirche, die sich in Abgrenzung zu der von den Deutschen Christen dominierten DEK, als die eigentliche wahre Vertretung der evangelischen Christen verstand.

Dreh- und Angelpunkt der Barmer Erklärung ist die von K. Barth vertretene Idee der Königsherrschaft Christi. In Abgrenzung zu den “Lehren” der Deutschen Christen aber auch zum totalitären Staat wird deshalb in Barmen betont, dass es für Christen in allen (!) Bereichen des Lebens nur einen Herrn (Führer) geben kann: Jesus Christus. Das Wort Jesu  und keine andere Norm – egal ob das nun die aus der Bibel hergeleitete Theologie der Schöpfungsordnungen, eine Philosophie, eine naturwissenschaftlich mitbegründete Idee wie der Sozialdarwinismus oder eine Ideologie ist – ist verpflichtend für den Christen. Nur dieser einen Norm, dem Wort und Vorbild Jesu sollte der Christ konsequent folgen und dadurch, so präzisiert das Barth in “Theologische Existenz heute”, missionarisch wirken, indem er seinen Mitmenschen und dem Staat zeigt, was Gott eigentlich von uns will.

Mit diesen Gedanken setzen sich Barth und mit ihm die Bekennende Kirche deutlich von den Deutschen Christen und der Mehrheit der Lutheraner, die an Luthers Zwei-Regimenter-Lehre und der Theologie der Schöpfungsordnungen festhielten, ab. Dies wird besonders deutlich, wenn man nach konkreten Inhalten fragt: Nach dem rein christozentrischen Ansatz der Barmer Erklärung sind alle Menschen Brüder und Schwestern und vor Gott gleich, es gilt, die Feinde zu lieben, zu vergeben und Nächstenliebe zu üben. Nach dem lutherischen Ansatz, wie er etwa von den Erlanger Theologen vertreten wurde, ist dies jedoch nur eine Möglichkeit christlichen Seins. Genauso legitim, weil mit der Bibel (insbesondere dem Alten Testament) vereinbar, wäre es aber an die Schöpfungsordnungen, an die Vorstellung vom erwählten Volk und an Kriege zu glauben, die mit Gottes Willen vereinbar sind.

200px-Bundesarchiv_Bild_146-1987-074-16,_Dietrich_BonhoefferD. Bonhoeffer

Nicht bestritten wird in Barmen übrigens die grundsätzliche Eigenständigkeit und der Eigenwert des Staates, betont wird aber auch dessen Verantwortung vor Gott. Der Staat hat nach These 5 eine eigene, ihm von Gott gegebene Aufgabe, für die sogar der Einsatz von Gewalt legitim ist: Er soll für Recht und Frieden (!) sorgen. Luthers Zwei Regimenter Lehre wird also nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Auch Röm 13,1 wird in der Bewertung des Staates weiterhin der Vorzug vor Apk 13 gegeben. Gleichwohl formuliert man in Barmen neue Grenzen, indem man herausstellt, dass der Staat sich nicht anmaßen dürfe, sich zur einzigen totalen Ordnung des menschlichen Lebens zu erheben. Eine Grenze, die der NS-Staat regelmäßig und grundsätzlich verletzte – man denke hier nur an die Ideologisierung des Schulunterrichts, die Propaganda in den Medien… Auf diese Verletzungen reagierte jene, die sich zur bekennenden Kirche zählten, höchst unterschiedlich und auch der Auftrag zur missionarischen Existenz wurde unterschiedlich umgesetzt: Manche leisteten passiven Widerstand, einige wenige, wie Bonhoeffer beteiligten sich am aktiven Widerstand.

Siehe dazu auch: https://wordpress.com/post/glaubenssachen.wordpress.com/1295

 

Die evangelische Kirche und das Dritte Reich III

Um hier keine Illusionen entstehen zu lassen: Der Widerstand der Pfarrer gegen die Versuche der Deutschen Christen den Arierparagraphen in der Kirche einzuführen, war kein Widerstand gegen Hitler, die NSDAP oder gegen den Staat! Es ging ausschließlich um die Abwehr der Deutschen Christen und ihrer  Versuche, die christliche Lehre grundlegend zu verändern. Dies gilt auch für die damit verbundene Abwehr antisemitischer Inhalte. Die Pfarrer wussten von der Einrichtung von Konzentrationslagern, von der Verfolgung von Juden, Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaftlern und anderen Gruppen.

Hitler war unantastbar und – zumindest in diesem Punkt hatten die Deutschen Christen den Menschen aus der Seele gesprochen – galt als der Retter, der Deutschland wieder zu alter Stärke führen würde. Dem wollte niemand im Weg stehen und so ist es kein Wunder, dass die deutschen evangelischen Bischöfe (auch jene, die nicht zu den Deutschen Christen gehörten) genauso wie übrigens auch Niemöller, Hitler offen und freudig unterstützten, als er begann den Versailler Vertrag zu ignorieren und 1933 den Austritt aus dem Völkerbund erklärte.

Bundesarchiv_Bild_137-004055,_Eger,_Besuch_Adolf_Hitlers

Diese Beobachtungen verlangen natürlich nach einer Erklärung, denn so sehr es aus heutiger Sicht noch einigermaßen nachvollziehbar sein kann, dass die Menschen damals glaubten und hofften, Hitler werde Deutschlands Größe wieder herstellen, so sehr muss man zumindest von den führenden Köpfen der evangelischen Kirche mehr und bessere (?) Argumente erwarten. Geliefert hat diese Begründungen sehr prominent eine eher kleine evangelisch-theologische Fakultät: Erlangen. Dort hatten jene Theologen, die sich vom fachlichen Schwerpunkt her mit dem Neuen Testament beschäftigten, ebenfalls eine kritische Stellungnahme zu den Botschaften der Deutschen Christen verfasst. Aber, ihre Stellungnahme wurde von der Mehrzahl der dort Lehrenden nicht unterschrieben, denn sie sahen keinen Grund sich gegen eine Bewegung zu stellen, die der Führer unterstützte und die den Führer unterstützte.

Die Rechtfertigung für diese Haltung, die übrigens, dies muss hier gesagt werden, in Erlangen auch nach dem zweiten Weltkrieg, nach der definitiven Offenlegung der vom NS-Regime begangenen Gräueltaten aufrecht erhalten wurde, war die Lehre von Schöpfungsordnungen. Diese Lehre, die sich auch in der katholischen Theologie großer Beliebtheit erfreute und erfreut, geht davon aus, dass Gott, als er die Welt schuf, Ordnungsmuster anlegte, die sich in der Geschichte der Menschheit und in der Natur wiederfinden. Unter anderem sind das

  • Gott gab der Frau die Rolle der Mutter, der Hausfrau und dem Mann die Rolle des Ernähers, Beschützers…
  • Gott ordnete die Menschheit in Völker mit einem König an der Spitze (so wie es auch bei Ameisen oder Bienen der Fall ist).

Damit ist eigentlich alles gesagt, denn was hier keine Erwähnung findet, ist aus der Sicht der Anhänger dieser Lehre nicht mit Gottes Schöpfungsordnungen und damit mit Gottes Willen vereinbar. Dies gilt insbesondere für die Idee,

  • dass die Frau Rollen übernehmen könnte, die den Männern zugeordnet sind;
  • der Völkerverständigung, des Zusammenwachsens von Völkern zu einer Einheit (als biblisches Vorbild sei hier an die Geschichte vom Turmbau zu Babel erinnert! Zugleich sei auch darauf verwiesen, dass im Kontext dieser Lehre der Krieg als natürliche, unter bestimmten Bedingungen mit dem Willen Gottes vereinbare Form der Auseinandersetzung zwischen Völkern erscheint)Proletarier_aller_Länder,_vereinigt_euch
  • dass Revolutionen und Demokratie legitime Ausdrucksformen politischen Handelns sein könnten.

Diese Lehre war und ist einfach, klar, leicht zu vermitteln. Sie trifft zugleich stark die Stimmung in der Bevölkerung. Für die Erlanger Theologen und die große Mehrheit der evangelischen Christen stand somit fest, dass ein nach dem Führerprinzip geführter Staat (man beachte hier auch das Frauenbild im Dritten Reich) der  gottgewollten Ordnung deutlich näher kommt, als die Weimarer Republik. Der NS-Staat entsprach somit im positivem Sinne Römer 13,1. Es gab keinen Grund an diesem Staat Kritik zu üben oder gar gegen diesen Staat Widerstand zu leisten…

Die evangelische Kirche und das Dritte Reich II

Der Siegeszug der Deutschen Christen schien unaufhaltsam, denn sie sprachen der großen Mehrheit der Evangelischen, die nationalkonservativ eingestellt war, aus dem Herzen. Immer wieder konnte man daher das Gleiche beobachten, ob in Gottesdiensten oder auf Synoden: Parteiuniformen, Hakenkreuzfahnen vor und in den Kirchen, Dankesbotschaften an den Führer und die Partei, Predigten, in denen die Begriffe Gott, Volk und Rasse eine große Rolle spielten, Luther war der deutsche Luther, Luthers Lied “Ein feste Burg” bekam einen bestimmten Unterton, man sang das Deutschlandlied und das Horst-Wessel-Lied und jene, die sich gegen diese Tendenzen wandten, wurden niedergeschrien, ausgelacht…

Berlin, LuthertagBundesarchiv Bild 102-15234, Berlin, Feier des Luthertags

So ging es, bis jener Moment kam, an dem die Deutschen Christen den Bogen überspannten: Sie versuchten, den im staatlichen Bereich bereits gültigen Arierparagraphen auch in der Kirche einzuführen. Betroffen hätte diese Regelung nur eine verschwindend geringe Anzahl von Pfarrern und kirchlichen Angestellten – etwa 50 -, aber viele Theologen erkannten in diesem Moment: Dass es den Deutschen Christen um viel mehr ging, nämlich um die Umformung des christlichen Glaubens in einen letztlich arischen Glauben…

Damit war der status confessionis für einen Teil der Pfarrer erreicht. Unter Führung des ehemaligen U-Boot Kommandanten, Weltkriegsveteranen und Pfarrers Martin Niemöller entstand der sog. Pfarrernotbund, dem sich bis 1934 etwa ein Drittel der  evangelischen Pfarrer anschlossen. Ziel des Bundes war es, die Einführung des Arierparagraphens zu verhindern. Klar und deutlich wurde zugleich die Anwendung der NS-Ideologie im Raum der Kirche abgelehnt.

450px-Martin_Niemöller_(1952)Martin Niemöller

Ob der Widerstand der deutschen Pfarrer ausgereicht hätte, die Einführung des Arierparagraphen in der Kirche zu verhindern? Wer weiß. Sicher ist, dass vor allem die englische und die schwedische Kirche sehr hart auf die angekündigte Einführung des Arierparagrahen reagierten. So hart und deutlich, dass dies auch im deutschen Außenministerium registriert und ernst genommen wurde und man Reichsbischof Müller dringend nahelegte, auf die Einführung vorerst zu verzichten.

Für die Deutschen Christen begann mit dieser Niederlage der Niedergang. Immer mehr Pfarrer und bald auch Gemeindeglieder gingen in Distanz zu ihnen. Ihr endgültiges Ende aber, läuteten sie selbst ein: Am 13.11.1933 im Berliner Sportpalast trug der “Gau-Obmann” der Deutschen Christen Studienassessor R. Krause vor 20000 begeisterten Anhängern die Grundsätze der Deutschen Christen vor: Er forderte die Abschaffung des Alten Testamentes mit seinen Viehhändler und Zuhältergeschichten. Er konstruierte eine wilde Geschichte, in der der Jude Paulus die eigentlich arische das Herrenmenschen-Ideal vertretende Lehre Jesu mit Arglist in eine Lehre verkehrt, die dazu diene, den Menschen zu sagen, dass sie Sünder, dass sie minderwertig seien. Für diese Gedanken wurde er von den Anwesenden frenetisch gefeiert. Das Problem: Seine Rede wurde im Rundfunk übertragen. Millionen Deutsche hörten ihm zu und erkannten (erst jetzt richtig) welche abstrusen Lehren die Deutschen Christen vertraten…

Formal allerdings blieb vorerst alles beim Alten: L. Müller repräsentierte unterstützt durch zahlreiche Anhänger in zentralen Funktionen die evangelische Kirche Deutschlands. Er ließ nicht locker, arbeitete weiter an der organisatorischen Gleichschaltung der evangelischen Kirche mit dem Staat. Als der Widerstand gegen ihn immer größer wurde, versuchte er gar eine Art Reichskirchendiktatur zu errichten. Mit einem Maulkorberlass sollten innerkirchliche Kritiker mundtot gemacht werden und als dies nicht half, lud man die führender Vertreter der Kirchen und auch Vertreter des Pfarrernotbundes in die Reichskanzlei. Hitler selbst war zugegen als Göring ein abgehörtes Telefonat Niemöllers abspielte, das beweisen sollte, dass Niemöller politisch nicht loyal war. Das wollten sich die anwesenden Kirchenführer nicht nachsagen lassen und man erklärte brav, dass man selbst geschlossen hinter Reichsbischof Müller stehe…

Ein Link für Interessierte: http://de.evangelischer-widerstand.de/?#/zeiten/19331934

Staat und Kirche – zwischen den Zeiten II

Für eine große Mehrheit der Kirchenvertreter, sei es für Amtsträger, sei es für Laien, insbesondere für Konservative und Fromme, war die Weimarer Republik letztlich eine Missgeburt: Hervorgegangen aus einer Revolution, die das alte vertraute, verlässliche System und Gegenüber hinweggefegt hatte. In ihren Anfängen begleitet von Hyperinflation, hoher Arbeitslosigkeit, Umsturzversuchen, politischen Morden, Rachitis-Epedimien, Streiks und deren gewaltsame Niederschlagung. Ihr Ende eingeläutet durch die Weltwirtschaftskrise 1929, der wiederum politische Unruhen, Straßenschlachten… folgten. Nie war man sich in dieser ganzen Zeit sicher, welche Partei sich wie lange an der Macht halten würde. Immer bestand die Gefahr, dass Parteien, wie die KPD in die Regierungsverantwortung kommen könnten, die die Kirche enteignen und aus dem öffentlichen Leben verdrängen wollten.

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Und ach, wenn es nur die politische Situation gewesen wäre! Genauso heftig litten die Kirchenvertreter aber unter dem Verfall von Moral und Sitten, der nach dem ersten Weltkrieg eingesetzt hatte. Die goldenen zwanziger Jahre – ein Phänomen das wesentlich auf die deutschen Großstädte beschränkt blieb – waren aus der Sicht der Konservativen und Frommen beileibe nicht golden:

Frauen emanzipierten sich, maßen sich an, Hosen zu tragen, wie Männer in der Öffentlichkeit zu rauchen, schnitten sich die langen Haare und Zöpfe ab, trugen stattdessen Pagenkopf und verdienten ihr eigenes Geld. Nackte Haut, Sexualität war plötzlich kein Tabu mehr, Otto Dix malte Prostituierte und seine Werke galten als Kunst, es gab die Zeitschrift “Die Fremde”, eine Zeitschrift für Lesben… die Röcke der Frauen wurden kürzer… Anita Berber tanzte nackt auf der Bühne, konsumierte Drogen und exzessiv Alkohol, heiratete mehrmals, hatte mehrere Affären, starb nach wüstem Leben mit 29 – sie war ein Einzelfall zweifellos, aber dafür in der Presse sehr präsent.

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(Marlene Dietrich – der blaue Engel)

Ungelöst waren auch die massiven sozialen Probleme in der Republik, man denke hier nur an die unzähligen Kriegsheimkehrer, traumatisiert, invalid und in vielen Fällen, ohne Arbeit und ohne Chance auf eine echte Reintegration in die Gesellschaft…

Viele Konservative und Fromme, evangelische und katholische, kirchliche Amtsträger und Laien, träumten aus diesen und anderen Gründen von der guten alten Zeit der Monarchie, sie sehnten sich nach einer starken Hand, die Stabilität, Sicherheit und Ruhe versprach.

 

 

Staat und Kirche – zwischen den Zeiten I

Das Verhältnis der Evangelischen, insbesondere der Lutheraner, zur Obrigkeit, also zu den Fürsten und dem Staat war von Anfang an unbekümmert, vertrauensselig. Man war tief erfüllt von Dankbarkeit über die Unterstützung, den Schutz und die Verteidigung, die die Reformation zu Zeiten Luthers und auch im dreißigjährigen Krieg durch die Fürsten erfahren hatte. Man lebte und verstand sich als treuer Diener des evangelischen Fürsten. An dieser Obrigkeitstreue änderte sich grundsätzlich auch nichts, als nach den napoleonischen Kriegen Deutschland neu geordnet wurde und etwa in Bayern Evangelische unter der Herrschaft eines katholischen Fürsten lebten. Selten sind deshalb die Fälle, in denen es Probleme zwischen Staat und Kirche gab, in denen der Moment gekommen zu sein schien, Widerstand zu leisten.

Die Geschichten, die in diesen Zusammenhang zu erzählen wären, haben die Qualität von Anekodoten. Ein Beispiel: In der mehrheitlich katholischen Kleinstadt Weiden in der Oberpfalz, hatten die Evangelischen keine eigene Kirche. Man war zu Gast in der katholischen Kirche und hatte sich in öffentlicher Absprache auf folgende Regelung geeinigt: Zuerst war die katholische Messe und dann ab einem festgesetzten Zeitpunkt folgte der evangelische Gottesdienst. Einzig der katholische Pfarrer hielt sich nicht an die Abmachung. Er überzog, insbesondere im Winter, oft so lange, dass die evangelischen Gemeindeglieder wieder nach Hause gingen. Natürlich beschwerte man sich, aber der katholische Pfarrer ließ sich nicht beirren. Also zog die evangelische Gemeinde vor Gericht, sie verlor vor dem örtlichen Amtsgericht, das sich ebenso auf die Seite des katholischen Pfarrers stellte, wie die nächsthöhere Instanz. Am Ende wusste man sich nicht anders zu helfen, als sich vertrauensvoll an den Landesvater, den katholischen König zu wenden. Und siehe da: Es gab keinen Grund, als Evangelischer dem König nicht treu ergeben zu sein: Ludwig I gab der Beschwerde der Evangelischen statt. Er rügte jene, die sich gegen die evangelische Gemeinde gestellt hatten und wies an, dass die festgelegten Gottesdienstzeiten einzuhalten seien.

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Ähnliche Geschichten gäbe es noch einige mehr zu erzählen, doch es ist nur noch eine, die wirklich erwähnenswert ist, denn sie hatte das Potential eine echte Krise auszulösen:  Sie nahm ihren Anfang in einem Befehl, den der bayerische Minister Karl v. Abel am 14. 8. 1838 erließ:

Seine Majestät der König haben allergnädigst zu beschließen geruht, daß bei militärischen Gottesdiensten während der Wandlung und beim Segen wieder niedergekniet werden soll. Das gleiche hat zu geschehen bei der Fronleichnams-Prozession und auf der Wache, wenn das Hochwürdigste vorbeigetragen und an die Mannschaften der Segen gegeben wird. Das Kommando lautet: Aufs Knie!

Dieser Befehl betraf nur das Militär und doch löste er sehr schnell eine Welle der Empörung im evangelischen Teil der Bevölkerung aus, bedeutete er doch letztlich, dass ein evangelischer Soldat gezwungen wurde, sich niederzuknien, wenn bei der Fronleichnamsprozession die Monstranz mit der gesegneten Hostie herumgetragen wurde. Mit anderen Worten, aus evangelischer Sicht: Der Soldat wurde zur Teilnahme an einem Fest gezwungen, dass in der evangelischen Kirche nicht ohne Grund abgeschafft worden war, er wurde gezwungen vor einer Sache niederzuknien, ein Ding zu verehren. Vielen einfachen evangelischen Gemeindeglieder ging das zu weit. Mit gutem Instinkt für die Sache, verstanden sie den Befehl als Versuch der Zwangskatholisierung, als Verstoß gegen die damals schon existente relative Gleichbehandlung der Evangelischen im bayerischen Königreich. Und, dabei darf man eines nicht vergessen: Ein Soldat, der sich weigerte den Befehl auszuführen, wurde damals mitnichten mit Samthandschuhen angefasst.

 

Es ist bezeichnend, auch im Hinblick auf die späteren Ereignisse, dass die führenden Köpfe der evangelischen Kirche in Bayern, insbesondere die Oberkonsistorialräte (heute Oberkirchenräte) in dieser Situation untätig blieben. Sie wollten, so scheint es, in keinem Fall den Bruch mit dem Staat riskieren und das, obwohl zumindest sie definitiv wussten, dass v. Abel tatsächlich sehr bewusst die Evangelischen provozierte und gezielt unter Druck setzte. Und so blieb es Laien, wie dem bayerischen Politiker und Landttagsabgeordneten C. v. Giech und Theologen, wie dem Erlanger Professor und Landtagsabgeordneten A. v. Harleß überlassen, dem Protest der Bevölkerung Gehör zu verschaffen. Es war dann auch der Landtag, der 1843 die Aufhebung des Erlasses beantragte und damit auf die Dauer Erfolg hatte: Der Erlass wurde 1844 abgemildert und am 12.12.1845 aufgehoben.

Priester mit wertvoller Monstranz bei der Bannerweihe des RV Georgia 2011 auf der Insel Reichenau, Deutschland; priest with precious monstrance on occasion of the consecration of a banner of the RV Georgia 2011 at the isle of Reichenau, Germany

Priester mit wertvoller Monstranz bei der Bannerweihe des RV Georgia 2011 auf der Insel Reichenau, Deutschland; priest with precious monstrance on occasion of the consecration of a banner of the RV Georgia 2011 at the isle of Reichenau, Germany

Gemessen an der Unruhe in der Bevölkerung löste der Kniebeugestreit eine ernste Krise aus. Aber es war nie eine Krise zwischen Kirche und Staat, denn die führenden Köpfe der evangelischen Kirche blieben dem König treu und auch der Widerstand der evangelischen Bevölkerung richtete sich gegen einen übergriffigen Katholizismus, wie ihn etwa I. v. Döllinger (ein Vertreter des Jungkatholizismus) oder eben K. v. Abel (ein zum Katholizismus konvertierter Protestant und führender Ultramontaner) vertraten und nicht gegen den König selbst.

 

 

 

 

 

Politische Theologie

Stell Dir vor, Du wärst aufgrund irgendwelcher Zufälle im großen kosmischen Roulette, in der rumänischen Provinz auf die Welt gekommen. Ein Haus, mehr eine Baracke, die Straße vor dem Haus im Sommer staubig, im Regen schlammig. Dein Vater hat keine Arbeit, er wird in seinem Ort auch keine finden, überhaupt: Von Anfang an begleitet Dich ein Gefühl, nein, es ist kein Gefühl, es ist eine Gewissheit: Die Menschen mögen Dich und Deine Familie nicht. Sie meiden euch, sie benachteiligen euch, sie zeigen euch, dass ihr unerwünscht seid. Du hungerst oft, Du frierst im Winter. Ein Lehrer hat Dir einmal gesagt, dass er glaubt, Du seist hochbegabt, so schnell, wie Du den zu erlernenden Stoff erfasst, aber im selben Satz sagt er Dir auch, dass das egal sei, denn schon jetzt sei auch klar, dass aus Dir nicht mehr würde als aus Deinem Vater, ein Nichtsnutz. So lebt ihr, so vegetiert ihr dahin, bis eines Tages Deine Familie beschließt: Wir verlassen die Heimat, wir versuchen nach Deutschland zu kommen.

 

Du hörst Deinen Eltern zu, wie sie von Deutschland sprechen – es muss eine Art Paradies sein. Selbst für einfachste Tätigkeiten gibt es Löhne, von denen man hier, in der Heimat, tagelang leben könnte. Die Menschen dort haben alles in Hülle und Fülle, all die Kleider, Handys… die Du nur vom Fernsehen kennst und, sie haben so viel, so erzählen es zumindest die Erwachsenen, dass sie viele Dinge, die noch gut sind, einfach wegschmeißen…

Romakind

Voller Erwartungen machst Du Dich eines Tages dann tatsächlich auf den Weg ins Paradies, nach Deutschland. Du hast fast nichts dabei, Du hast auch nichts zurückgelassen, denn Du hast nie wirklich etwas besessen. Die Reise ist anstrengender als Du Dir das vorgestellt hast. Vieles, an dieser Reise verstehst Du nicht – etwa warum ihr nicht einfach mit dem Zug direkt dorthin fahrt oder warum ihr teilweise nur nachts reist… Aber dann ist es soweit: Ihr kommt in Deutschland an und Du stehst in einer ganz anderen Welt.

Die Straßen sind zwar nicht aus Marmor oder Gold, aber sie sind sauber,  geteert. Du siehst Menschen, die ganz selbstverständlich Kleidungsstücke, Handys, Schuhe, Handtaschen… tragen, die sich in deiner Heimat niemand leisten kann. Du weißt, wieviel diese Dinge wert sind, Du weißt, dass man vom Gegenwert der Turnschuhe deines Gegenübers in deiner Heimat lange wie ein König essen könnte. Du siehst die Läden, voll mit Waren. Es ist das Paradies, es muss das Paradies sein, wären da nicht die seltsamen Reaktionen der Menschen um Dich herum.

Du spürst schnell, dass ihr auffallt – man sieht dir, man sieht euch die Herkunft an, das wird dir schnell bewusst. Deine Haut ist dunkel, deine Haare, deine Kleider, deine Schuhe, sie verraten deine Herkunft, deinen sozialen Status sofort. Die Blicke, die dich treffen, sind vom ersten Augenblick an voller Misstrauen, voller Abscheu. Die Menschen machen manchmal deutlich sichtbar, manchmal unauffälliger einen Bogen um euch herum. Mehrfach hörst Du Worte wie “Zigeuner”, “Gesindel”, “Schmarotzer”. Du verstehst den Sinn dieser Worte nicht, aber, dir ist sofort klar, sie sind abwertend gemeint, voller Verachtung.

Nur zweimal habt ihr Kontakt mit den Menschen hier. Die ersten, die mit euch reden, lernt ihr aufgrund eurer Neugier kennen. Es ist eine Gruppe junger Menschen, die in der Fußgängerzone Lieder singt. Dein Vater nähert sich ihnen, denn er hat gehört, dass man in Deutschland Geld verdienen kann, wenn man in der Stadt auf der Straße Musik macht. Tatsächlich zeigt sich aber schnell, dass diese Jugendlichen nicht darauf aus sind, mit ihrer Musik Geld zu verdienen. Sie beginnen ein Gespräch mit Euch, das zu nichts führt – sie sprechen Deine Sprache nicht – aber am Ende bleibt doch eines hängen, ein Gedanke, der den Jugendlichen sehr wichtig ist und den zu vermitteln, sie sich redlich mühen: Jesus liebt dich! Du weißt natürlich, wer Jesus ist. Schließlich seid ihr ja auch Christen. Du kennst ihn, aus den Kirchen Deiner Heimat. Er ist der Sohn Gottes, er hängt in den Kirchen, vergoldet, man betet ihn an…

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Die zweite Gruppe von Menschen, die euch begegnet, beendigt zugleich euren Ausflug ins Paradies. Es ist die Polizei, die euch mitnimmt, die euch erkennungsdienstlich behandelt, so als hättet ihr gestohlen, gemordet oder geraubt und die euch einsperrt, um euch dann nach einiger Zeit in eure Heimat abzuschieben…

Was ist politische Theologie?

Jesus hat Menschen von ihrer Not befreit, sehr konkret, er hat Kranke geheilt und Ausgegrenzten eine Rückkehr in die Gemeinschaft ermöglicht. Er hätte wahrgenommen, dass für den fiktiven aber doch realen Sinti-Jungen aus der obigen Geschichte, Gedanken wie “Gott liebt dich” völlig leer, bedeutungslos sind, weil der Junge konkret leidet. Jesus hätte gewusst, dass es schlichtweg ignorant und unmenschlich ist,  nichts gegen die Not des Jungen zu unternehmen. Jesus hätte gewusst, dass die Worte: “Jesus liebt dich” aus dem Mund eines gut situierten Jugendlichen in den Ohren des Sinti-Jungen anders klingen: Jesus liebt mich (den gut situierten Jugendlichen) und nicht dich (den Sinti-Jungen). Jesus hätte gewusst, dass der Mensch davon lebt, dass er anerkannt wird, dass er Wertschätzung erfährt, dass er sich angenommen fühlt, dass er das braucht, und dass er nur, wenn er das erlebt, auch verstehen kann, was es bedeutet zu hören “Gott liebt dich”.

Politische Theologie hat es sich zum Ziel gesetzt, die Gesellschaft so zu verändern, dass sie gerecht wird, dass jeder verstehen kann, was es bedeutet, geliebt zu werden, akzeptiert zu werden, gleich behandelt zu werden… weil nur für den, der das erlebt und erfahren hat, glaubhaft und spürbar ist, was es bedeutet zu hören: Gott liebt dich, Gott nimmt dich an, so wie du bist. Glaube und Religion sind somit keine Privatsache, sind nicht beschränkt auf den Bereich des Privaten. Sie haben im Gegenteil eine öffentliche Dimension, denn Jesus rief nicht dazu auf, einigen auserwählten Einzelnen zu helfen, sondern das Reich Gottes auf Erden zu bauen und d.h. die Welt insgesamt und grundsätzlich zu verändern…

Die Kirche und der Krieg – Teil I

Samuel kam zu Saul und sagte: „Der Herr gab mir damals den Auftrag, dich zum König über sein Volk Israel zu salben. Darum höre jetzt seinen Befehl: So spricht der Herr, der Herrscher der Welt: „Ich will jetzt den Amalekitern vergelten, was sie Israel angetan haben. Sie versperrten ihm den Weg, als es aus Ägypten kam. Darum zieh gegen sie ins Feld und vernichte sie! Alles, was zu ihnen gehört, steht unter dem Bann. Darum töte ohne Erbarmen Männer und Frauen, Kinder und Säuglinge, Rinder, Schafe, Kamele und Esel.““

(1. Samuel 15,1-3)

Man mag es ja kaum glauben, man würde es am liebsten verschweigen, beschriebe diese Geschichte nicht auch noch einen Schlüsselmoment im Leben Sauls, des ersten Königs Israels, aber:
Gott ordnet hier einen Genozid an!
Erbarmungslos, rücksichtslos (was können die Säuglinge! für die Taten ihrer Väter?), dogmatisch und so umfassend, dass selbst die Haus- und Nutztiere der Amalekiter der Vernichtung anheim gegeben werden. Nichts soll verschont werden und wie ernst dies gemeint ist, zeigt sich in der Fortsetzung der Geschichte: Saul hält sich nicht an diesen Befehl. Aus zugegebenermaßen ethisch nicht besonders reinen Motiven heraus, beschließt er, den König am Leben zu lassen und die Haus- und Nutztiere der Amalekiter als Beute an seine Soldaten zu verteilen. Eine Entscheidung, die ihm letztlich den Thron kostet. Gott wendet sich von ihm ab, weil er den Vernichtungsbefehl nicht mit letzter Konsequenz umsetzt.
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Diese Geschichte ist in ihrer Art zwar extrem, aber sie ist im Alten Testament nicht singulär. Immer wieder erzählt es vom glühenden Zorn Gottes, der aufflammt, sei es gegen Völker, die das Volk Gottes bedrohen, sei es gegen Anhänger fremder Götter im heiligen Land, sei es gegen das Volk Gottes als Ganzes. So kann nicht nur der König Israels den Auftrag erhalten, den Zorn Gottes an Menschen, Völkern zu vollstrecken, Gott bedient sich auch fremder Könige, etwa des babylonischen Königs Nebukadnezar, um sein eigenes Volk zu strafen. Gott, so lernen wir, ist im Alten Testament ein strafender, ein richtender und ein zorniger Gott, der mit den Mitteln der Natur (siehe die Sintflut, aber auch durch Erdbeben, siehe Amos 1,1) und durch Menschen, jene straft, die sich gegen ihn stellen, die seinen Willen nicht erfüllen.
Es wäre nun allerdings eine Täuschung zu denken, dass diese Phase, dieses Gottesbild auf das Alte Testament beschränkt sei. Es ist im Gegenteil tief in der Geschichte des Christentums verwurzelt. Ganz in Anlehnung an bestimmte Textstellen in der Offenbarung des Johannes dachten die Menschen im Mittelalter immer wieder, dass Gott die Schalen seines Zorns über sie ausgegossen habe und sie nun mit Hunger oder Seuchen strafe. Und nicht nur sie: Als 1981 Aids als eigene Krankheit wahrgenommen wurde, die schnell die Züge einer Epidemie annahm, sahen viele darin nichts anderes als die Strafe Gottes für ein widergöttliches Verhalten – sprich es gab keinen Grund für Mitleid oder ernsthaft engagierte Hilfe… (siehe dazu http://www.aerzteblatt.de/archiv/43800/Aids-Politik-in-den-USA-Der-Zorn-Gottes)
Immer wieder glaubten Christen dann auch, wie einst Saul, den Auftrag bekommen zu haben, den Zorn Gottes zu vollstrecken. Gruppierungen wie die Katharer, die Waldensern oder die Hussiten wurden von der Kirche nicht nur bekämpft, man versuchte sie absolut zu vernichten, bis hin zur Verbrennung ihrer Körper…
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Aber, hätte eine christliche Kirche, deren oberste Norm ja nicht das Alte Testament, sondern Jesus ist, nicht anders denken und handeln müssen? Diese Frage stellt sich, aber sie ist ehrlicherweise mit Nein zu beantworten. Es gab keinen zwingenden Grund mit dem Alten Testament zu brechen. Immerhin hatte Jesus das Alte Testament nicht an sich außer Kraft gesetzt, immerhin finden sich im Reden und Tun Jesu immer wieder Momente, in denen auch er vom strafenden Gericht Gottes spricht, in denen er vom heiligen Zorn übermannt wird, etwa als er den Tempel reinigt…
Jesus ging in den Tempel und trieb alle Händler und Käufer hinaus. Er stieß die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenverkäufer um. Dazu sagte er ihnen: „In den Heiligen Schriften steht, dass Gott erklärt hat: „Mein Tempel soll eine Stätte sein, an der die Menschen zu mir beten können!“ Ihr aber macht eine Räuberhöhle daraus!“
(Matthäus 21,12ff)
Angesichts dieser starken, ungebrochenen Traditionslinie ist es schließlich auch kein Wunder, dass in fast allen Predigten über 1. Samuel 15 (die meisten im Internet zu lesenden Predigten stammen von evangelisch-evangelikalen Pfarrern) die Tatsache, dass Gott einen Genozid angeordnet hat, als selbstverständlich und unproblematisch hingenommen wird. Das Thema dieser Predigten ist im Normfall ein anderes: Der Ungehorsam Sauls gegenüber Gottes Befehl.