Staat und Kirche – zwischen den Zeiten I

Das Verhältnis der Evangelischen, insbesondere der Lutheraner, zur Obrigkeit, also zu den Fürsten und dem Staat war von Anfang an unbekümmert, vertrauensselig. Man war tief erfüllt von Dankbarkeit über die Unterstützung, den Schutz und die Verteidigung, die die Reformation zu Zeiten Luthers und auch im dreißigjährigen Krieg durch die Fürsten erfahren hatte. Man lebte und verstand sich als treuer Diener des evangelischen Fürsten. An dieser Obrigkeitstreue änderte sich grundsätzlich auch nichts, als nach den napoleonischen Kriegen Deutschland neu geordnet wurde und etwa in Bayern Evangelische unter der Herrschaft eines katholischen Fürsten lebten. Selten sind deshalb die Fälle, in denen es Probleme zwischen Staat und Kirche gab, in denen der Moment gekommen zu sein schien, Widerstand zu leisten.

Die Geschichten, die in diesen Zusammenhang zu erzählen wären, haben die Qualität von Anekodoten. Ein Beispiel: In der mehrheitlich katholischen Kleinstadt Weiden in der Oberpfalz, hatten die Evangelischen keine eigene Kirche. Man war zu Gast in der katholischen Kirche und hatte sich in öffentlicher Absprache auf folgende Regelung geeinigt: Zuerst war die katholische Messe und dann ab einem festgesetzten Zeitpunkt folgte der evangelische Gottesdienst. Einzig der katholische Pfarrer hielt sich nicht an die Abmachung. Er überzog, insbesondere im Winter, oft so lange, dass die evangelischen Gemeindeglieder wieder nach Hause gingen. Natürlich beschwerte man sich, aber der katholische Pfarrer ließ sich nicht beirren. Also zog die evangelische Gemeinde vor Gericht, sie verlor vor dem örtlichen Amtsgericht, das sich ebenso auf die Seite des katholischen Pfarrers stellte, wie die nächsthöhere Instanz. Am Ende wusste man sich nicht anders zu helfen, als sich vertrauensvoll an den Landesvater, den katholischen König zu wenden. Und siehe da: Es gab keinen Grund, als Evangelischer dem König nicht treu ergeben zu sein: Ludwig I gab der Beschwerde der Evangelischen statt. Er rügte jene, die sich gegen die evangelische Gemeinde gestellt hatten und wies an, dass die festgelegten Gottesdienstzeiten einzuhalten seien.

Ludwig_I_of_Bavaria

Ähnliche Geschichten gäbe es noch einige mehr zu erzählen, doch es ist nur noch eine, die wirklich erwähnenswert ist, denn sie hatte das Potential eine echte Krise auszulösen:  Sie nahm ihren Anfang in einem Befehl, den der bayerische Minister Karl v. Abel am 14. 8. 1838 erließ:

Seine Majestät der König haben allergnädigst zu beschließen geruht, daß bei militärischen Gottesdiensten während der Wandlung und beim Segen wieder niedergekniet werden soll. Das gleiche hat zu geschehen bei der Fronleichnams-Prozession und auf der Wache, wenn das Hochwürdigste vorbeigetragen und an die Mannschaften der Segen gegeben wird. Das Kommando lautet: Aufs Knie!

Dieser Befehl betraf nur das Militär und doch löste er sehr schnell eine Welle der Empörung im evangelischen Teil der Bevölkerung aus, bedeutete er doch letztlich, dass ein evangelischer Soldat gezwungen wurde, sich niederzuknien, wenn bei der Fronleichnamsprozession die Monstranz mit der gesegneten Hostie herumgetragen wurde. Mit anderen Worten, aus evangelischer Sicht: Der Soldat wurde zur Teilnahme an einem Fest gezwungen, dass in der evangelischen Kirche nicht ohne Grund abgeschafft worden war, er wurde gezwungen vor einer Sache niederzuknien, ein Ding zu verehren. Vielen einfachen evangelischen Gemeindeglieder ging das zu weit. Mit gutem Instinkt für die Sache, verstanden sie den Befehl als Versuch der Zwangskatholisierung, als Verstoß gegen die damals schon existente relative Gleichbehandlung der Evangelischen im bayerischen Königreich. Und, dabei darf man eines nicht vergessen: Ein Soldat, der sich weigerte den Befehl auszuführen, wurde damals mitnichten mit Samthandschuhen angefasst.

 

Es ist bezeichnend, auch im Hinblick auf die späteren Ereignisse, dass die führenden Köpfe der evangelischen Kirche in Bayern, insbesondere die Oberkonsistorialräte (heute Oberkirchenräte) in dieser Situation untätig blieben. Sie wollten, so scheint es, in keinem Fall den Bruch mit dem Staat riskieren und das, obwohl zumindest sie definitiv wussten, dass v. Abel tatsächlich sehr bewusst die Evangelischen provozierte und gezielt unter Druck setzte. Und so blieb es Laien, wie dem bayerischen Politiker und Landttagsabgeordneten C. v. Giech und Theologen, wie dem Erlanger Professor und Landtagsabgeordneten A. v. Harleß überlassen, dem Protest der Bevölkerung Gehör zu verschaffen. Es war dann auch der Landtag, der 1843 die Aufhebung des Erlasses beantragte und damit auf die Dauer Erfolg hatte: Der Erlass wurde 1844 abgemildert und am 12.12.1845 aufgehoben.

Priester mit wertvoller Monstranz bei der Bannerweihe des RV Georgia 2011 auf der Insel Reichenau, Deutschland; priest with precious monstrance on occasion of the consecration of a banner of the RV Georgia 2011 at the isle of Reichenau, Germany

Priester mit wertvoller Monstranz bei der Bannerweihe des RV Georgia 2011 auf der Insel Reichenau, Deutschland; priest with precious monstrance on occasion of the consecration of a banner of the RV Georgia 2011 at the isle of Reichenau, Germany

Gemessen an der Unruhe in der Bevölkerung löste der Kniebeugestreit eine ernste Krise aus. Aber es war nie eine Krise zwischen Kirche und Staat, denn die führenden Köpfe der evangelischen Kirche blieben dem König treu und auch der Widerstand der evangelischen Bevölkerung richtete sich gegen einen übergriffigen Katholizismus, wie ihn etwa I. v. Döllinger (ein Vertreter des Jungkatholizismus) oder eben K. v. Abel (ein zum Katholizismus konvertierter Protestant und führender Ultramontaner) vertraten und nicht gegen den König selbst.