Präferenzutilitarismus (Singer)

Für manche ist Peter Singer ein Held, denn er ist einer der Väter der modernen Tierrechts- und Tierschutzbewegung, ein unermüdlicher Kämpfer für den Schutz bedrohter Arten; für andere wiederum ist er der gefährlichste Mann der Welt, einer der die Argumente für moderne Euthanasieprogramme liefert, etwa für die Tötung geistig behinderter Kinder…

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Singer provoziert, er fordert uns zu einer Auseinandersetzung mit dem Thema auf, das die Basis eines jeglichen ethischen Systems sein sollte: Das Menschenbild. Er tut dies, weil er zahllose Widersprüche in der vorfindlichen Alltagsethik konstatiert, weil er Haltungen entdeckt, die Traditionen folgen, die heute nicht mehr so haltbar sind und vor allem zahllose letztlich subjektive Positionen. Mit welchem Grund etwa ist in Deutschland die Abtreibung bis zum dritten Monat erlaubt? Was spricht für das Ende des dritten Monats? Warum ist dann aber bei entsprechender Indikation eine spätere Abtreibung doch möglich? Wieso ist es legitim ein geistig behindertes Kind im Bauch der Mutter zu töten, wieso wäre es aber andererseits eine Straftat, würde man ein neugeborenes geistig behindertes Baby töten? Weil letzteres ein paar Monate älter ist? Weil das eine noch unsichtbar im Bauch der Mutter ist, das andere aber uns mit einem menschlichen Gesicht anblickt? Vor dem Hintergrund dieser widersprüchlichen Haltungen, die sich noch leicht ausdehnen ließen auf unserer Wertschätzung unterschiedlicher Tierarten, ist Singers Ansatz zu verstehen als die Suche nach einem in sich konsistenten Menschenbild als Basis einer ethischen Theorie. Zwei Optionen scheinen ihm hier dann theoretisch möglich:

Embryo als Modell in Reagenzglas als Symbolbild für Embryonenforschung

Eine Möglichkeit wäre, die Lehren der jüdisch-christlichen Tradition ernst zu nehmen und zu sagen: Alles Leben ist heilig, von Gott. Der Mensch wäre dann ein heiliges Geschöpf unter vielen anderen heiligen Geschöpfen. Ihm wäre es konsequenterweise nicht nur verboten, andere Lebewesen zu töten, auch jeder Eingriff in die heilige Schöpfung, also z.B. die Verhinderung der Nidation menschlicher Eizellen oder die genetische Manipulation von Pflanzen wäre eine Sakrileg. Dieser Ansatz wäre für Singer durchaus denkbar, denn er wäre von überzeugender Konsequenz, aber Singer versteht den Menschen nicht von Gott her. Er will seiner Theorie Maßstäbe zugrunde legen, die empirisch nachweisbar, vernünftig begründbar sind. Die Evolution bietet ihm deshalb die bessere Basis, um dieses Thema zu lösen.

Im Kontext der Evolution wiederum wird deutlich, dass es eine Reihe von Lebewesen gibt, die die Natur mit
Neugier,
Vernunft,
der Fähigkeit abstrakte und komplexe Vorstellungen über eine Zukunft zu entwickeln,
ausgestattet hat. Diese Lebewesen haben ein Bewusstsein über sich selbst, sowie über Raum und Zeit. Sie nennt Singer Personen. Sie sind das Zentrum seiner Ethik, denn sie allein sind zu ethischen Entscheidungen fähig. Sie allein sind im Rahmen einer ethischen Abwägung dann auch zu schützen. Die Personen sollten ethische Entscheidungen nach den Prinzipien des klassischen Utilitarismus fällen. Wobei sie – dieses Vertrauen hat Singer – nicht einfach Glück als ihren Maßstab ansetzen, sondern Präferenzen – sprich höhere, abstraktere Vorstellungen von einer guten Zukunft.

Wer nun sind Personen? Aufgrund empirischer Beobachtung sind dies:

Affen, Delphine oder Krähenvögel und menschliche Jugendliche sowie Erwachsene.

Nicht aber: menschliche Embryonen, demente Menschen, geistige Behinderte…

Lesetipp: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/im-gespraech-peter-singer-sind-sie-der-gefaehrlichste-mann-der-welt-11108221.html