Der Existentialismus – der Mensch und der Tod III

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Was soll man tun, angesichts der Erfahrung des Absurden? Was soll man tun, wenn man mitbekommt, wie der Kollege, der hart arbeitete, alles gab, damit es der Familie gut geht, der sehr gesund lebte, Sport trieb, plötzlich einen Herzinfarkt bekommt und stirbt? Es gibt zwei Optionen: Die erste wählen wir sehr gerne: Kurz erschrecken, kurz beteuern, dass man nun selbst mehr auf sich achten werde und dann das Ganze möglichst schnell verdrängen und weitermachen wie bisher. Die zweite ist die von der wir gerne reden, die wir aber selten bis gar nicht konsequent umsetzen:

  1. Anerkennen der Absurdität unserer normalen Existenz, in der wir funktionieren, so wie man es von uns erwartet, als guter Familienvater, als guter Arbeitnehmer…
  2. Die Tatsache ernst nehmen, dass wir zu oft Optionsscheine auf eine ungewisse Zukunft ziehen, in der wir dann glauben, glücklich zu werden, glücklich zu sein und daher
  3. beginnen, das zu tun, was wir können und was auch das Einzige ist, das Sinn macht, nämlich so zu leben, dass möglichst jeder Augenblick unseres Lebens sinnvoll ist, denn so sehr wir nicht im Griff haben, was in der Zukunft passiert, so sehr haben wir doch im Griff, was genau jetzt, in diesem Moment passiert.

Was wir davon hätten, würden wir uns an Option 2 halten? Nun zuallererst ein großes Moment der Befreiung, denn wir wären wieder Herr über uns selbst. Wir würden schlichtweg nicht mehr mitmachen, bei dem “man macht”, “sie sollten jetzt”, “es wird erwartet, dass”. Lebten wir nach Option 2, dann würde sich auch unser Leben deutlich verändern, denn wir würden jeden Moment, jede Begegnung ernst nehmen. Gerade letzteres würde einen großen Fortschritt in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen bedeuten, weil wir immer tiefe und sinnhafte Momente suchen würden, nie nur smalltalk und Oberflächlichkeiten. Und – dies ist den Existentialisten das Wichtigste – wenn wir dies tun, dann würden wir auch sehen, dass es den anderen ähnlich geht, wie uns, dass sie ebenfalls die Absurdität dessen spüren, was wir ein normales Leben nennen, die Sinnlosigkeit der üblichen Lebensentwürfe und, dass sie, wie wir selbst, Angst haben vor der letzten Erkenntnis: Unsere Existenz an sich hat keinen Sinn. Wir sind und bleiben in dieser Welt ein Nichts, ein Spielball, der Konzerne, der Politiker, der Medien, der Naturgewalten…

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Würden wir uns und unsere Mitmenschen in dieser Form ernst- und wahrnehmen, als Menschen, die eigentlich nichts in der Hand haben, außer den konkreten Moment;

Würden wir begreifen und uns der Tatsache stellen, dass es die Angst vor der Sinnlosigkeit uneres Daseins ist, die uns dazu treibt, vorgegebenen Sinnentwürfen brav zu folgen, zu tun, was man sagt.

Und würden wir stattdessen versuchen, jedem Moment, jeder Begegnung Sinn zu geben,

dann wäre ein ganz anderen zwischenmenschlicher Umgang möglich – wahre echte Humanität,

weil es dann nicht mehr um Dinge ginge, die nicht erreichbar sind, wie gesellschaftliches Ansehen, die Ehre oder Wohlstand, sondern um die wahren Dinge des Lebens, um Gefühle, um echtes Verstehen…

Und im Idealfall – dann wenn wir doch alt werden und es doch schaffen, im “Haus am See” zu leben, von dem Peter Fox singt – dann ja dann und nur dann könnten wir unseren 20 Kindern und 100 Enkeln unendlich viel erzählen, weil wir unendliche viele wertvolle Momente erlebt hätten …

Der Existentialismus – der Mensch und der Tod II

Bei allen Lebewesen und geschaffenen Dingen geht die Essenz der Existenz voraus. Sprich: Bevor der Tonkrug entsteht, ist bereits ein Plan im Kopf der Töpfers. Er will ein bestimmtes Gefäß zu einem bestimmten Zweck machen und hat dazu ganz bestimmte Vorstellungen. Ähnlich ist es auch bei Tieren und Pflanzen: Auch sie haben ihren vorgegebenen Platz in der Natur, den zu erfüllen sie bestimmt sind. Ein Löwe kann nicht beschließen, dass er gerne ein Affe wäre.

Nur der Mensch fällt aus diesem Rahmen. Er ist das einzige Lebewesen, bei dem die Existenz der Essenz vorausgeht. Er kommt zur Welt ohne vorgegebene Bestimmung seines Wesens, seiner Aufgaben. In ihm ist nichts. Nichts, was ihn von innen heraus dazu treibt, irgendeine Rolle oder gar eine Sinnbestimmung anzustreben. Er hat sehr individuelle Talente sicher, aber es nicht so wie etwa bei einem männlichen Löwen, der gar nicht anders kann als die Rolle des Paschas in einer Herde anzustreben… Im Menschen ist Nicht und er kann und darf sich daher selbst seinen Sinn geben, seine Aufgaben und Wesensbestimmungen selbst suchen.

Das ist der Grundgedanke des Existentialismus, der freilich zugibt, dass dieser Gedanke ein Ideal beschreibt. In Wirklichkeit geht auch beim Menschen die Essenz der Existenz voraus. Er wird zum Beispiel in so manchen Fällen schon in der Absicht gezeugt, später den Betrieb der Eltern zu übernehmen, das Leben seiner Eltern mit Sinn zu erfüllen, später, wenn er älter ist, ist es sein ihm vorgegebener Sinn, sich zu bilden, ein vollwertiges und gutes Mitglied der Gemeinschaft zu sein, dabei kann er dann auch wählen, ob er etwa den Sinn seines Lebens darin sieht Lehrer zu werden oder Banker… Aber das sind Details, das Wesentliche ist vorgegeben, ein Zwangskorsett, das uns von Kindheit an angelegt ist und das wir deshalb oft als solches gar nicht wahrnehmen. In den Worten Sartres: Die Hölle, das sind die anderen, jene (konkrete Personen, aber auch das abstrakte “man”), die mir vorgeben, wie ich zu leben habe.

Which way?

So scheint es sehr wohl so zu sein, dass wir einerseits von der Gesellschaft eine Essenz, eine Wesensbestimmung und Lebensaufgabe aufgedrückt bekommen und andererseits an gewissen Stellen und innerhalb bestimmter Grenzen uns unseren Sinn selbst geben können. Doch dies zu glauben, so betonen die Existentialisten uni sono, ist eine einzige Täuschung. Sie verweisen hier unter anderem auf das im vorherigen Blogeintrag genannte Beispiel: Als Hunderttausende in den ersten Weltkrieg zogen, im Glauben einem höheren Sinn und Ziel zu folgen, fielen sie auf diese Täuschung herein, ihr Leben, ihr Tod, war sinnlos, absurd.

Aber auch im Kleinen kann man schnell die Erfahrung des Absurden machen. Man denke hier nur an einen jungen Mann, der sich ganz im Sinne der Gesellschaft für die Karriere aufopfert, der arbeitet bis zum Umfallen, immer mit dem Ziel, viel Geld zu verdienen, um dann eines Tages das Leben genießen zu können, der dann aber mit 35 erfährt, dass er Krebs hat und nicht mehr lange zu leben. Welchen Sinn hatte sein Leben bis dahin? Was kann er festhalten, was in seinem Leben hat die Qualität, dass er angesichts der Botschaft vom nahen Krebstod sagen kann: Dafür hat es sich gelohnt zu leben!

Der Einbruch des Absurden in unser Leben – in Form von einer Krankheit, mit der wir nicht gerechnet haben, einem Schicksalsschlag, einer Entscheidung von irgendwelchen Mächtigen – die Erfahrung, dass plötzlich alles zerbricht und infrage gestellt ist, was wichtig war, ist es die die Existentialisten sagen lässt, dass dieses Leben an sich sinnlos ist. Wir haben es, seinen Ablauf und die Faktoren die diesen Ablauf beeinflussen nicht wirklich im Griff. Zu glauben, man könne es planen, dass das Ende der Lebensstraße so aussieht, wie bei Peter Fox in “Haus am See” ist deshalb eine Illusion. Darauf zu setzen, dass es funktionieren werde, ist nichts anderes als Lotto zu spielen.

Extended Family Group Enjoying Outdoor Meal Together

 

Der Existentialismus – der Mensch und der Tod I

Das Leben – dein Leben, mein Leben, alles ist sinnlos! So etwas sagen Depressive, so etwas sagt kein normaler, gesunder Mensch, so möchte man meinen. Doch, was wäre, wenn dieser Satz das Ergebnis intensiver, philosophischer Reflexion wäre, wenn er nicht von psychisch angeschlagenen Menschen käme, sondern von logisch analytischen Denkern? Lohnt es sich dann intensiver darüber nachzudenken oder wäre es besser, Philosophen, die derartiges vertreten, zu ignorieren, sie zu den sog. bösen Philosophen zu zählen, deren Werke man am besten verbrennt?

Nun, die Antwort auf diese Frage ist recht einfach: Wenn es darum geht zu verhindern, dass kritische Fragen gestellt werden, dass Selbstverständliches hinterfragt wird, dann ja, dann ist es richtig, diese Aussagen und die Gedanken, die die Philosophen dazu hatten, zu verdrängen, zu ignorieren. Freilich, man könnte an dieser Stelle auch den Spies umdrehen und feststellen: Wer sich dieser Aussage, dieser Erkenntnis nicht stellen mag ist oberflächlich, ignoriert die Wahrheit und hat Angst vor derselben. Er ist deshalb auch gut manipulierbar.

Ein Beispiel, das Beispiel: Hunderttausende junge Männer zogen in den ersten Weltkrieg. Begeistert, hochmotiviert zogen sie los, brachen teilweise ihre Schulausbildung ab, gaben ihren Beruf auf, ließen ihre Familie zuhause sitzen, um ihr Vaterland zu verteidigen. Sie vegetierten bald in Schützengräben vor sich hin, starben qualvoll und wenn sie nicht starben, so kamen sie körperlich und seelisch gebrochen zurück. War ihr Leben sinnvoll? War ihr Tod sinnvoll? Hatten die, die überlebten danach ein sinnvolles Leben? Wurde es ihnen gedankt? Oder waren diese Hunderttausende, die da in den ersten Weltkrieg gezogen waren, letztlich nichts anders als Manöveriermasse in den Schlachtplänen der Generäle?

Marble Crosses on a Cemetery

Was wäre passiert, wenn sie alle gesagt hätten: Das Leben ist sinnlos und daher ist es auch völlig sinnlos zu glauben, dass es gut sein kann für das Vaterland in den Krieg zu ziehen! Dann hätte das Volk, die Masse nicht mehr so funktiert, wie sie funktionieren sollte. Deshalb waren und sind Kriegsdienstverweigerer, aber auch allgemein Aussteiger und Andersdenkende aus der Sicht derer die vom bestehenden System leben, so gefährlich. Sie sind Sand im Getriebe. Sie machen Angst, weil sie das Vertraute, das Bewährte, das Allgemeingültige in Frage stellen und vor allem, weil sie eine Alternative aufzeigen, zu dem, was man so tut und damit alle anderen herausfordern, traut euch, handelt eigenständig, nehmt euer Leben selbst in die Hand.

Es gab einige Philosophen, die die Ansicht vertraten, dass das Leben an sich und auch das Leben eines jeden Einzelnen sinnlos sei, jene von denen im folgenden die Rede sein soll, sind die Existentialisten, wie etwa Albert Camus, Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir.

Thomas v. Aquin – der Mensch und der Tod

Die Bibel steckt voller Mysterien, geheimnisvoller, rätselhafter Ereignisse und Aussagen. Man denke hier nur an Genesis 1,7, jene Stelle, in der beschrieben wird, wie Gott den Menschen aus Ackererde formt und ihm dann den Odem (Atem) des Lebens in seine Nase bläst, um ihn zum lebendigen Wesen zu machen. Mysterien, wie diesen, also der Frage – was passiert hier eigentlich – wollten die Scholastiker auf den Grund gehen. Ihr Ziel war dabei zugleich zu zeigen, dass sich christlicher Glaube mit antiker Philosophie verbinden lässt, dass beide sich nicht ausschließen.

Dabei, dies darf hier nicht vergessen werden, existierte natürlich schon längst eine entscheidende Vordeutung der oben genannten Stelle, denn Juden und Christen, die im griechisch-römischen Kulturkreis sozialisiert waren, lasen hier die klassische antike Philosophie hinein, sprich sie setzten den Odem des Lebens mit der Seele nach Plato und Aristoteles gleich. Diese Gleichsetzung hinterfragten auch die Scholastiker nicht. Sie untersuchten vielmehr, welches der großen antiken philosophischen Systeme mit dem christlichen Glauben vereinbar sein könnte.

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Sehr schnell wurde ihnen klar, dass zentrale Elemente in der Lehre Platos dem christlichen Glauben, der Bibel widersprechen. Dies gilt vor allem für die Vorstellung von einer präexistenten Seele, die die Welt der Ideen, das Göttliche, schon einmal gesehen hat,  für die Vorstellung vom Leib/Körper als Gefängnis der Seele und nicht zuletzt auch für die Idee, dass die Seele irgendwann wieder in einen Körper zurückkehren muss, weil nur so neues Leben auf der Erde entstehen kann. Umso glücklicher war man daher, bei Aristoteles zahlreiche Gedanken zu finden, die sich mit der christlichen Lehre vereinen ließen. Prägend wurde hier letztlich Thomas v. Aquin mit seiner Interpretation von Aristoteles.

Thomas v. Aquin übernimmt von Aristoteles den Gedanken, dass die Seele göttlichen Ursprungs und zugleich zu Beginn des menschlichen Lebens leer (tabula rasa), frisch, ungeprägt sei. Er sieht, wie der Philosoph, in der Seele die dem Körper Form gebende, gestaltende Kraft. Dabei erscheint der Körper nicht wie bei Plato als Gefängnis, sondern als Gegenstück zur Seele. Beide brauchen einander. Der Körper ist ohne die Seele tot und die Seele ihrerseits kann ohne den Körper ihr Wesen nicht entfalten.

Der Unterschied zwischen Thomas v. Aquin und Aristoteles liegt in der Deutung des Todes und der Zeit danach. Thomas v. Aquin wendet sich hier zuerst ganz deutlich gegen jene Interpretation von Aristoteles nach der die Geistseele nach dem Tod im allumfassenden Logos aufgeht. Für ihn, als Christen, ist das Weiterleben der Seele nur als individuelle Seele, als Einzelseele vorstellbar und mit der Bibel vereinbar. Noch wichtiger ist Thomas v. Aquin freilich ein anderer Gedanke, der deutlich über Aristoteles hinausgeht: Die Seele, die nach dem Tode und dem damit verbundenen Verfall des Körpers übrigbleibt, darf nicht gleichgesetzt werden mit dem Menschen. Sie ist nur ein Teil des Menschen, der auf seine Vervollkommnung wartet. Diese wird es geben, wenn am Jüngsten Tag Gott die Menschen von den Toten wiederauferweckt und damit wiederholt, was er am Anfang der Zeiten getan hat: Er verbindet die Seele des Verstorbenen wieder mit einem neugeschaffenen Körper.

 

Und so

Insofern geht es hier nicht um diese Gleichsetzung sondern mehr um die ref

Aristoteles – der Mensch und der Tod

Haben Sie sich je gefragt, warum Sie so sind, wie Sie sind – warum Sie nicht aus Ihrer Haut können? Die Antwort ist nach Aristoles ganz einfach: Es liegt an Ihrer Seele. Diese ist nach Aristoteles göttlichen Ursprungs, sie kommt in die Materie und wird dort zur Form gebenden, zur gestaltenden Kraft. Ob also aus einem Zellhaufen in der Gebärmutter ein drahtiger, wachsamer und intelligenter oder ein phlegmatischer Mann wird, liegt wesentlich an der Seele, die in ihm wohnt.

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Mit diesen Gedanken überwindet Aristoteles grundsätzlich die Trennung zwischen Leib und Seele, die Plato vertreten hatte, denn Form (bei Lebewesen ist dies die Seele) und Materie sind bei allen von Menschen gemachten Dingen und bei allen Arten von Leben untrennbar miteinander verbunden. Gleichwohl ist bei den Lebewesen nicht Seele gleich Seele. Aristoteles unterscheidet im Menschen drei Formen der Seele:

  • Die vegetative Seele, deren formgebende Kraft darin besteht, das Lebewesen zu Wachstum, Nahrungsaufnahme und Fortpflanzung zu treiben. Sie findet sich auch in Pflanzen und Tieren,
  • Die Sinnesseele, die das Wesen in Bewegung setzt und es mit den Sinnen die Welt wahrnehmen lässt. Sie lehrt uns auch angenehmes von unangenehmen zu unterscheiden und weckt in uns Gefühle. Sie findet sich auch bei den Tieren, und nicht zuletzt
  • Die Geistseele, die Vernunft, der Logos, die den Menschen dazu treibt, zu versuchen die Welt um sich herum zu begreifen. Sie ist, dies betont Aristoteles, zu Beginn des Lebens eine tabula rasa – ein unbeschriebenes Blatt – bringt also kein Vorwissen mit.

Nur für letztere – und hier wird es spannend – gilt allerdings, dass sie unsterblich ist. Sie wird erst durch den Tod der anderen beiden Seelenkräfte und damit des Körpers zu dem, was sie eigentlich ist. So Aristoteles, der aber genau an dieser Stelle aber vage wird, so dass es zwei mögliche Antworten auf die Frage gibt, was mit der Geistseele nach dem Tode passiert:

  • Sie lebt als individuelle Seele unsterblich weiter oder
  • Genau diese individuelle Ebene wird im Tod aufgelöst und die Geistseele geht ein in das Große und Ganze des allumfassenden Geistes (Logos).

Plato – der Mensch und der Tod

Der Mensch – so beobachtet Plato – zumindest der weise Mensch – ist ständig auf der Suche. Er sucht die wahre Liebe, er sucht  die wahre Schönheit, er sucht das wahre Glück oder kurz: Er sucht das wahre Gute. Diese Suche ist – eine weitere leicht nachvollziehbare Beobachtung – fortwährend. Wir suchen unter anderem nach ewig währender, beständiger und unsterblicher Liebe und meinen damit eine Partnerin und einen Partner, der uns erfüllt, dauerhaft, mit dem wir alt werden wollen… Dabei geht es uns immer wieder so, dass wir glauben ihn bzw. sie gefunden haben. Doch nach einiger Zeit stellen wir fest, das wir zwar viel von dem gefunden haben, was wir suchten, aber doch nicht alles und wir beginnen erneut zu suchen…

So geht es uns nicht nur in der Liebe, sondern in allen Dingen. Wir suchen das Gute, das Schöne als etwas Beständiges. Wir leiden darunter, dass es vergänglich ist, oft nur einen kurzen Moment andauert und tun alles dafür, dass es möglich lang anhalte oder dass es sich sicher wiederhole. Und so gehen wir in ein Lokal, in dem wir gut gegessen haben, uns gut unterhalten haben, wieder und wieder; wir reisen immer wieder an jenen Urlaubsort, an dem wir eine besonders schöne Zeit verbracht haben… Wir versuchen, das Gute einzufangen, zu konservieren, wiederholbar zu machen. Aber, es gelingt uns meist nicht oder nur bedingt.

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Die erste Erkenntnis, die sich daraus ziehen lässt, ist, dass so sehr wir uns nach etwas Beständigem, Ewigen sehnen, wir dies nicht so einfach erreichen können, denn wir sind Menschen und keine Götter. Letztere zeichnet nach Plato vor uns aus, dass sie im dauerhaften Besitz von Glück, Schönheit… sind. Sie sind selbst ewig, wir aber, dies ist die zweite Erkenntnis, stehen schnell vor einer Schranke, die den absoluten Verlust jedes Glückes bedeutet: Dem Tod. Doch unsere Sehnsucht ist stark – sie treibt uns an nach Beständigkeit, nach ewigem Glück zu suchen.

An dieser Stelle ist es nun Zeit präziser zu werden und nach der treibenden Kraft hinter dieser Suche zu fragen: Es ist die Seele, unsere Seele. Folgt man Plato, so ist sie es, die das wahre Gute sucht und sie hat dafür einen guten Grund: Sie ist selbst ewig, unsterblich. Sie war schon in der Welt, die Plato die Welt der Ideen nennt, dort also, wo das wahre Gute existiert. Sie ist nun aber, aufgrund des Handelns des Demiurgen, des Schöpfers dieser Welt, gefangen im Leib. Hier macht sie aus toter Materie einen lebendigen menschlichen Körper, denn sie ist die Kraft, die den Körper in Bewegung setzt und hält. Sie lässt ihn nach der wahren Liebe, nach dem wahren Glück suchen, denn in ihrer Gefangenschaft erinnert sie sich (Anamnese) an die Welt der Ideen.

Für uns alle spürbar wird die Seele somit in unserer Suche nach dem Wahren. Sie ist aber mehr, sie ist nach Platon auch gleichzusetzen mit unserem Verstand. Ihn gilt es deshalb zu erziehen, so dass er sich nicht von den mit dem Körper verbundenen Seelen bestimmen lässt, sondern im Gegenteil diese lenkt und führt. Diese mit dem Körper verbundenen Seelen (die Begierdenseele und die Mutseele) werden – dies sei hier betont – nicht als eigenständige Seelen gedacht, sie sind eher an den Körper gebundene Kräfte, die mit diesem im Tod auch vergehen.

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(Im Bild entspricht der Wagenlenker der Verstandesseele und die beiden Pferde der Mut- und der Begierdenseele)

Damit ist nun auch der Punkt erreicht, grundsätzlich über die Deutung des Todes durch Plato zu reden. Hier greift Plato auf eine alte, weitverbreitete aber insbesondere von Heraklit sehr klar vertretene Vorstellung zurück: Den Kreislauf des Werdens und Vergehens. Steigen wir in ihn in dem Moment ein, den wir beobachten können, den Moment des Todes. In diesem verlässt die Seele den Körper und, was einmal lebendig war, liegt tot und kalt da, zerfällt in Staub. Die Seele wiederum steigt bald nach dem Tod hinab in den Hades und während gute und entsprechend vorbereitete Seelen den Styx oder Acheron, mit Hilfe von Charon unbeschadet überqueren, werden frevelhafte Seelen vom Acheron oder vom Phlegethon, einem Lavastrom fortgerissen und in den acherusischen See gespült. Dort haben letztere die Chance, sich von ihren Sünden zu reinigen und ihre Opfer um Vergebung zu bitten.

Acheron river springs and gorge in Greece

Acheron river springs and gorge in Greece

Alle Seelen aber verweilen nach Heraklit und der von ihm aufgenommenen Tradition nur eine begrenzte Zeit im Hades. Sie kehren von dort zurück, sie müssen von dort zurückkehren, damit neues Leben entstehen kann. Sie beseelen deshalb von neuem tote Materie mit Leben und sorgen so dafür, dass der Kreislauf des Werdens und Vergehens nie aufhört…

Diese Vorstellungen, die ja letztendlich besagen, dass wir zweigeteilt sind, in einen materiellen, vergänglichen Körper und eine präexistente, ewige Seele teilt Plato und von dieser Basis aus ergibt sich der Rest fast von selbst. Dem Körper ist es aufgrund seiner materiellen Beschaffenheit und der Beschränktheit der Sinne nicht möglich, das Ewige, das wahre Gute, das wahre Schöne (kurz in der Sprache Platos die Ideen) zu erfassen. Er erkennt daher nur materiell Schönes, Gutes etc. und damit Vergängliches. Die Seele hingegen kann mit Hilfe der Vernunft das Ewige erfassen, denn sie selbst ist ja auch ewig unvergänglich.

Im Idealfall also muss der Mensch zum Philosophen werden, der sich seines Verstandes bedient und alles aus der Vernunft heraus, aus reinem abstrakten Denken entscheidet und tut, der auch die Begierden- und die Mutseele vollkommen kontrolliert. Für diesen Menschen ist der Tod der Moment der Befreiung, der ein Aufstieg in die Welt der Götter, der Ideen folgt. Für alle anderen, denen das nicht gelingt, bei denen im Gegenteil der Verstand getrübt und eingeschränkt wird durch Impulse der Begierdenseele, wie z.B. das Bedürfnis nach Ruhe, durch Unlust etc. oder/und durch Impulse der Mutseele, wie z.B. Zorn oder Ehrgeiz, gilt, dass sie den Weg beschreiten müssen, den Heraklit beschrieben hat. Sie bleiben nach einer Phase der Reinigung in der Unterwelt gefangen in dieser materiellen Welt.

 

Das Christentum und Plato – der Mensch und der Tod I

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Fragt man Leute auf der Straße nach dem, was im und nach dem Tod passiere, dann antwortet eine große Mehrheit (vorausgesetzt sie ist im westlichen Kulturkreis sozialisiert), dass sich im Tod der Körper von der unsterblichen Seele trenne. Doch, wie geht es weiter? An dieser Stelle wird es diffus.

Nicht wenige, beeinflusst durch die hier aber missverstandene hinduistisch-buddhistische Reinkarnationslehre, glauben, dass ihre Seele in einem neu geborenen Lebewesen wieder zurückkäme. Wieder andere sehen im Tod den Moment der Befreiung vom Körper, der alt und welk ist, der aber auch in seiner jungen Form oft vor allem als Hindernis bei der Selbstverwirklichung wahrgenommen wird. Sie glauben, mit dem Tod in ein neues, quasi göttliches Stadium überzugehen, in dem die Seele frei und sich selbst voll entfaltend ewig weiterlebt.

Wird eine dezidiert christliche Antwort gegeben, so ist es meist die, dass man, je nachdem entweder in den Himmel oder in die Hölle käme. Doch, in welcher Form lebt man dort weiter? Für die meisten scheint es klar zu sein, dass nur die Seele in den Himmel oder die Hölle kommt. Dabei, und hier wird es spannend, wissen bzw. sollten alle Christen eigentlich wissen, dass das Christentum eine leibliche Auferstehung lehrt. Am jüngsten Tag, so wird es unter anderem auf jeder Beerdigung immer deutlich mit Bezug auf die Bibel formuliert, wird die Seele mit einem neuen Leib eingekleidet und in dieser Form kommt der Mensch in den Himmel oder in die Hölle.

Sehr schnell wird dann auch klar, warum die biblische Botschaft an dieser Stelle von vielen nicht ernst genommen, überhört wird: Die Vorstellung, dass nicht nur die Seele weiterlebt, sondern, dass es auch eine Auferstehung des Körpers gibt, erscheint aus zweierlei Gründen als unlogisch: 1. Es ist völlig unklar, welchen Körper der Einzelne dann bekommen würde – einen alten oder einen jungen? Sind wir dann alle 25?  Was wiederum passiert mit einem Menschen, der schon im Kindesalter verstarb. Muss er ewig als Kind leben? Und 2. Es ist völlig offen, wo all diese wiederauferstandenen Menschen leben sollen, denn Gott wird, so heißt es ja auch, sein Reich (mit anderen Worten: Die Erde ist nach dem Gericht Gottes auch der Himmel) auf dieser Erde errichten…

Antworten auf diese Fragen – im Sinne von „vernünftige Antworten“ gibt es von Seiten des Christentums nicht wirklich. Es ist eine Sache des Glaubens, was nach dem Tod passiert. Es ist Vertrauen auf Gott zu sagen, Gott wird schon wissen, welcher Körper in welchem Alter der richtige für mich ist, er wird auch dafür sorgen, dass das Paradies ein echtes Paradies ist und nicht wegen Überfüllung geschlossen werden muss. Wir allerdings, so die eigentlich aber auch logische Botschaft des Glaubens, können nicht wissen, wie es sein wird, denn wir haben dazu keine eigenen – am besten noch objektiv nachweisbaren – Erkenntnisse.

So bleiben diese Fragen offen, eben eine Sache des Glaubens und nur eines kann als gesichert gelten: Der Glaube selbst hat Rückwirkungen auf unser Leben. Sprich: Gehe ich davon aus, dass mein Körper wertvoll ist, so wertvoll, dass Gott ihn restauriert, wiederherstellt im Leben nach dem Tode, habe ich einen anderen Bezug zu meinem Körper, als wenn ich sage, dass er die lästige, beschränkende Hülle für meine unsterbliche Seele sei.

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In diesem Sinne ist es durchaus spannend, das sich nicht das Christentum, sondern Plato, denn von ihm stammen die eingangs genannten Gedanken letztlich, mit seiner Lehre zum Thema Leben nach dem Tod durchgesetzt hat.Tatsächlich findet sich nichts in den Aussagen Jesu, dass darauf schließen ließe, dass er überhaupt gedacht habe, dass sich nach dem Tod der Körper von der Seele trennen wird. Er sieht den Menschen als Einheit, die auch nach dem Tod erhalten bleibt. Bei Paulus wiederum, der ja im griechischen Kulturkreis aufgewachsen ist und der daher die Lehre der griechischen Philosophen, insbesondere Platos gekannt haben müsste, finden sich erste Ansätze zwischen Seele und Körper zu trennen. Aber: Er betont immer und immer wieder, dass die Auferstehung eine leibliche sein wird.

Woher aber kommt es dann, dass viele so stark zwischen dem Körper und der Seele trennen, dass sie wie selbstverständlich davon ausgehen, dass nur die Seele weiter lebt? Es spricht vieles dafür anzunehmen, dass es vor allem Gedanken Platos sind, die hier in unser Denken einflossen.  Deshalb lohnt es sich nachzufragen, was Plato genau lehrte und welche weiteren Gedanken er damit verband…

Immanuel Kant – der Mensch und der Tod

Im Jahr 1901 wog der Arzt Duncan MacDougall sechs sterbende Patienten. Er wollte beweisen, dass die Seele materiell und messbar sei und tatsächlich, er kam zu dem Ergebnis, dass die Gewichtsdifferenz zwischen lebenden und toten Patienten durchschnittlich 21 Gramm betrug. Zur Kontrolle vergiftete er fünfzehn Hunde. Da sie im Sterben nach seinen Messungen kein Gewicht verloren, nahm er an, dass Hunde keine Seele besäßen.

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Diese Geschichte hätte Immanuel Kant sicherlich gefallen. Sie ist ein gutes Lehrstück zur Veranschaulichung seiner Erkenntnislehre. Wir sehen, so Kant, nie das Ding an sich, d.h. das Ding in seinem objektiven Das ein, weder die Tasse vor uns, noch die Seele im Mitmenschen. Wir sehen, wenn, dann nur das, was uns unsere Sinne sehen lassen. Die Basis unserer Erkenntnisse sind somit subjektive Eindrücke. Oft genug aber begehen wir den Fehler, dass wir unsere Beobachtungen für objektiv halten und auf dieser Basis zu spekulieren beginnen (in der Terminologie Kants – wir arbeiten mit der spekulativen Vernunft).

Der Versuch von Duncan MacDougall, der es immerhin schaffte, seine Ergebnisse in der New York Times zu veröffentlichen, ist dafür ein gutes Beispiel: Der Arzt hatte tatsächlich einen Gewichtsverlust bei den Sterbenden gemessen, doch dann beging er einen entscheidenden Fehler. Er zog „vernünftige“ Schlüsse. Er deutete dieses mit den Sinnen zu beobachtende Phänomen – Gewichtsverlust – als Hinweis auf die Existenz der Seele. Auch dies wäre an sich sogar noch nicht legitim, immerhin kann man aus der Beobachtung von Ebbe und Flut auch auf die Existenz des Mondes schließen. Er vergaß aber dabei, genauestens zu prüfen, ob seine sinnlichen Beobachtungen nicht noch anders zu erklären wären, etwa durch Flüssigkeitsverlust…

Mit dem Verweis auf die Erkenntnistheorie ist eines schon angedeutet: Kant bestreitet im Gegensatz zur philosophischen Tradition vor ihm, dass es möglich sein könnte, die Existenz einer unsterblichen Seele oder natürlich auch Gottes zu beweisen. Derartige Versuche verweist er in den Bereich der Spekulation. Freilich, Kant ist auch kein Atheist. Im Gegenteil, so klar und deutlich, wie er bestreitet, dass man die Existenz Gottes beweisen könne, so klar und deutlich stellt er fest, dass es ein Postulat (eine Forderung, ein Axiom) der Vernunft sei, anzunehmen, dass eine unsterbliche Seele und auch Gott existiere.

Ausgangspunkt von Kants Gedankengang, der zu diesen Postulaten führt, ist die Annahme, dass der Besitz der Vernunft den Menschen wesentlich zum Menschen macht, dass diese Gabe nicht zufällig Teil unseres Wesens ist, sondern ihren Sinn hat, so wie auch die mächtigen Pranken des Löwen ihren Sinn haben. Mit Hilfe seiner Vernunft – vorausgesetzt er setzt sie ein – kann der Mensch erkennen, dass die Umsetzung des kategorischen Imperativs – das moralische Gesetz – das höchste anzustrebende Gut ist. Denn, würden alle so handeln, dass die Maxime ihres Handelns als Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnten, dann würde diese Welt eine Welt sein, in der absoluter Frieden herrscht, in der es absolut gerecht zugeht… Das höchste Glück wäre erreicht, nicht nur für den Einzelnen, sondern für die ganze Menschheit.

Nur, die alltägliche Erfahrung lehrt, dass viele Menschen ihre (praktische) Vernunft nicht im eigentlichen, richtigen Sinne für das höchste Gut einsetzen. Und so würde, unter der Voraussetzung, dass wir alle nur dieses eine Leben haben und danach nichts mehr kommt, gelten:

Der, der aufgrund von egoistischem Handeln, der Ausnutzung der Schwächeren etc., sein Leben in Saus und Braus führt, hat, wenn er stirbt, ein glückliches Leben gehabt, während

der, der zum Beispiel nie lügt, weil er ganz nach dem kategorischen Imperativ davon ausgeht, dass niemand angelogen werden möchte und man deshalb selbst auch nicht lügen sollte, sein Leben lang immer wieder über den Tisch gezogen, ausgenutzt wird. Er hätte, wenn er stirbt, zwar vielleicht ein moralisch korrektes, aber kein glückliches Leben geführt.

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Angesichts dieser beiden Alternativen gibt es nur zwei logische Antworten:

  • Wenn es dem besser geht, der auf seinen Vorteil schaut, der sich nicht für Moral und Gerechtigkeit interessiert,
    wenn der in unserer Welt an Lebensqualität und Lebensglück verliert, der versucht, sich immer moralisch absolut richtig, vernünftig zu verhalten,
    dann ergibt sich unter der Voraussetzung, dass wir nur dieses eine Leben haben und dem Tode keines folgt, logisch zwingend der Schluss:
    Es ist völlig unsinnig sich moralisch verhalten zu wollen. Achte lieber darauf, dass Du hier und jetzt mit allen Mitteln ein gutes Leben führst und nutze die Vernunft dazu zu verhindern, dass Dich jemand ins Gefängnis steckt…

Diese Lösung ist aus der Sicht Kants durchaus logisch – wirft aber eine Frage auf: Warum sind wir alle fähig mit unserem Verstand zu erkennen, dass wir wenn wir uns an den kategorischen Imperativ halten würden, eine gerechte und gute Welt schaffen könnten?
Oder, um es anders auszudrücken: Lösung 1 ist logisch unter der Voraussetzung, dass wir alle Tiere wären, die aufgrund ihrer rein sinnlichen Natur ihr Glück auch ausschließlich in der Befriedigung ihrer körperlichen Bedürfnisse finden.

Wir aber sind Menschen und sind dies gerade dadurch, dass wir unseren Verstand besitzen, der uns Möglichkeiten aufzeigt, eine für alle gute und gerechte Welt zu schaffen.
Aus diesem Grund, weil wir eben vernunftbegabte Wesen und keine Tiere sind, weil wir uns mit Hilfe der Vernunft frei gegen unsere Triebe und das rein sinnliche Glück entscheiden können und alle diese besonderen Möglichkeiten des Menschseins einen echten Sinn haben müssen, ergibt sich eine weitere Lösung:

  • Es muss eine Instanz geben,
    die garantiert, dass wir, wenn wir unsere Lebensaufgabe als Menschen vollendet und das heißt nach dem moralischen Gesetz gelebt haben, Glück erleben können – im Leben nach dem Tod: Gott und in uns eine unsterbliche Seele, die dieses Glück erleben kann.
    Nachtrag 1: Damit ist natürlich auch gemeint, dass der, der im irdischen Leben nicht versucht nach dem moralischen Gesetz zu leben, sondern stattdessen irdischen sinnlichen Vergnügungen nachgeht, von eben diesem Gott nach dem Tode im ewigen Leben bestraft wird.
    Nachtrag 2: Kant lässt es offen, wie man sich dieses Glück vorstellen soll, das den vorbildlichen Menschen nach dem Tod erwartet, nur eines kann als sicher gelten: Es ist nicht irdisch-sinnlicher, triebhafter Natur (Essen, Liebe…)

Martin Heidegger – Der Mensch und der Tod

Geworfen in das Man. Mit diesen vier Worten könnte man grob zusammenfassen, wie Martin Heidegger das menschliche Dasein beschreibt. Zwei Gedanken lassen sich aus diesem Satz sofort ableiten:

  1. Du bist nicht Herr Deiner Selbst. Im Gegenteil: Du wirst geworfen, Dir wird gesagt, wer Du bist, wie Du bist, wie Du Dich und die Welt um Dich herum zu verstehen hast und
  2. Es ist kein konkretes Gegenüber, das Dich beherrscht. Es ist nicht Gott, der Dir vorgibt, welchen Sinn Dein Leben hat, wie es verläuft, in welcher Welt Du lebst. Mit Gott könnte man sich ja auseinander setzen, versuchen, seinen Willen mit Opfern, Gebeten, durch entsprechendes Verhalten zu beeinflussen…
    Es sind auch nicht die Eltern, die Freunde, der bewunderte Star oder Politiker, die Dir Deinen Sinn vorgeben, die verantwortlich dafür sind, dass Du bist, wie Du bist. Sicher, das sei zugegeben, Du kannst vermutlich schon über Dich sagen, dass Du diese oder jene Eigenschaft von Deinen Eltern geerbt bzw. erlernt hättest, dass Du eine bestimmte Haltung oder Lebensart von einem von Dir bewunderten Menschen übernommen hast – und damit hast Du sicher recht. Aber: Mitmenschen, die Dich prägten, sind ihrerseits ja auch nur „Geworfene“. Die Macht aber, die dahinter steht, auf die es ankommt, ist eine andere: Das anonyme, unfassbare Man.

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Für dieses Man gibt es bei Heidegger ein Synonym: Sprache. Was er damit meint, ist am besten am Beispiel eines Kleinkindes zu beschreiben: Dieses erschließt sich eigentlich selbst die Welt. Es krabbelt zu Gegenständen in seiner Umgebung, nimmt sie in den Mund, verleibt sie sich bildlich gesehen ein und entdeckt so seine Welt. Irgendwann dann lernt das Kind zu sprechen und hier beginnt etwas Entscheidendes: Aus nagnagngagaga… (Babysprache) wird Auuutoooo. Dieser Vorgang beschreibt den entscheidenden Prozess, den jeder Mensch durchschreitet: Das Kleinkind, das in seiner eigenen Welt lebt, eigene Begriffe für die Welt um sich herum hat, erlernt die Sprache der es umgebenden Welt.

Die Eltern sind darüber sehr glücklich. Zwischen den Eltern gibt es regelrechte Wettbewerbe „Mein Kind hat schon mit eineinhalb Jahren gesprochen!“ „Wie, ihr Kind ist drei und spricht immer noch nicht?“. Doch, was von den Erwachsenen als wichtiger Schritt in der Entwicklung des Kindes gesehen wird, als Erwerb einer neuen Fähigkeit (wie eben z.B. selbst laufen zu können) ist nach Heidegger weit aus mehr.

Wenn das Kind lernt Auto, Mama … zu sagen, erlernt es eine gesamte, alles umfassende Deutung der Wirklichkeit. Die Welt ist ab diesem Zeitpunkt in Begriffe, in Kategorien eingeteilt, in Geschlechter, in gut und böse, schön und hässlich, nützlich und nicht nützlich und so weiter. Damit entsteht Ordnung im Chaos des Seins. Dinge, Zustände werden klar trennbar. Damit ist Kommunikation möglich, weil alle um mich herum dieselbe Sprache sprechen. Damit wird uns aber auch unser Sein vorgegeben. Du bist erfolgreich – sagt Man – wenn Du die Schule mit sehr guten Noten abschließt. Du bist es nicht, wenn Du nur mittelmäßige Noten hast – und sicher: Dann kannst Du natürlich sagen, dass aus Deiner Sicht durchschnittliche Noten auch ein großer Erfolg seien, aber Dir ist dann hoffentlich bewusst, dass Du hier etwas behauptest, was Man nicht so sieht. Und, Du solltest nicht so oft die Normen des Man, ignorieren, nicht zu oft von Dir behaupten, dass Du erfolgreich bist, obwohl es nicht stimmt, denn dann hätte das Man auch einen Begriff für Dich, Du wärst dann ein Angeber…

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Wichtig ist an dieser Stelle zu sehen, dass die Begriffe erfolgreich oder Angeber existieren, bevor Du etwas tust, bevor Du überhaupt existierst. Sie sind klar definiert, bevor sie auf Dich angewendet werden. Sie beschreiben, sie definieren Dein Sein. Oder in den Worten Heideggers: Das Man hat Dir das Sein abgenommen. Und, so seltsam es erst einmal klingt, das Man verfolgt dabei sogar ein Ziel: Die allgemeine Durchschnittlichkeit – Deine Durchschnittlichkeit – Du sollst das an Kleidung tragen, was alle so tragen, Du sollst Ziele im Leben haben, wie sie so viele andere auch haben, Du sollst die Werte teilen, die auch die anderen vertreten… Wir leben nach Heidegger in einer Diktatur, die uns die Durchschnittlichkeit aufzwingt, die uns zu braven Schafen macht, die alle ihr Handy herumtragen und auf E-Mails und Whats-app Nachrichten warten, die sich alle als Demokraten verstehen…

Das Gemeine an der Diktatur, in der wir leben, ist die Tatsache, dass der Diktator nicht fassbar ist. Er ist keine Person, sondern das nicht fassbare Man. Besonders schlimm ist dies alles schließlich, weil wir Menschen nach Heidegger die einzige Seiende (=Wesen) sind, das fragen kann. Uns ist es letztlich bewusst, dass wir dem Diktat des Man unterworfen sind. Doch Bewusstsein bedeutet auch eine Chance, einen Auftrag. In den Worten Heideggers: Sei eigentlich! Denn, es stimmt nicht ganz, dass wir für alle Seinszustände unseres Lebens Begriffe haben, die Man inhaltlich festgelegt hat. Der Tod, der Prozess des Sterbens, aber auch Momente mit starken Gefühlen sind eine Ausnahme. In diesen Momenten sind wir sprachlos, wissen wir nicht, was und wie wir es ausdrücken können, wie wir uns treffend mitteilen können und machen umgekehrt die Erfahrung, dass uns auch die Worte der Anderen nicht erreichen, dass die Anderen unsere Sprache nicht sprechen.

Diese besonderen Momente sind für Heidegger die interessantesten Momente in unserem Leben überhaupt, denn in diesen Momenten sind wir frei, bestimmen wir wirklich selbst über unser Dasein. Deshalb gilt: „Der Tod als Ende des Daseins ist die eigenste, unbezüglichste, gewisse und als solche unbestimmte, unüberholbare Möglichkeit des Daseins.“