Tugendethik oder Es geht nicht zuerst um Dein Glück!

Was wünschen wir uns mehr, als dass ein Arzt, der uns behandelt, das Gute als Ziel hat, sprich unsere Heilung? Was wünschen wir uns mehr, als dass unser Nachbar, der uns bei einem Problem hilft, das Gute als Ziel hat, sprich uns zu helfen?

Wir wissen allerdings auch, dass das in den allermeisten Fällen so nicht stimmt: Der Arzt denkt nicht nur an unsere Heilung, sondern auch an sein Geschäft und gegebenenfalls, wenn wir eine besondere Krankheit haben sollten, gar an seinen Ruhm. Und der Nachbar? Er hilft wiederum oft nur solange, wie es Spaß macht, bzw. um gut dazustehen… Wir erleben im Laufe unseres Lebens, alltäglich viele Enttäuschungen dieser Art. Die, von denen wir uns erhoffen, dass sie das Gute zum Ziel haben, verfolgen auch andere Ziele und oft sind es solche, die uns nicht nützen und manchmal sogar schaden. Wer hier etwas pessimistisch oder sollen wir sagen realistisch gestimmt ist, der kann gar zum Schluss kommen, dass es ein Fehler sei, zu erwarten, dass der andere einem Gutes wolle. Im Gegenteil, es sei typisch für unsere Mitmenschen, unsere Gesellschaft und uns selbst, dass es eigentlich nur noch um Eines geht: Den eigenen Spass, den eigenen Vorteil oder kurz: Das eigene Glück für das dann der Andere Mittel zum Zweck ist.

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Sind uns in diesem Sinne die Tugenden abhanden gekommen, die man ja, je nach Theorie auch als Charaktereigenschaften bezeichnen kann und deren Ziel es ist, das Gute für den Anderen zu wollen? Man könnte dies annehmen und denke hier z.B. an die gute alte deutsche Tugend der Pünktlichkeit. Wir kennen sie und wir bemühen sie auch gerne, etwa dann, wenn wir vorhatten mit der Bahn von A nach B zu kommen und die Bahn wieder einmal unpünktlich ist. Dann erheben wir gerne den Zeigefinger und klagen die Einhaltung der Tugend der Pünktlichkeit ein. Doch wehe, wenn uns einer diese Tugend anklagend vor Augen hält, etwa weil wir zu einem Termin zu spät kommen. Dann ist das Urteil “Mein Gott, typisch deutsch, wie spießig” schnell bei der Hand. Diese letztere Reaktion ist wohl ein Reflex der Ideologie der 68ger, die wenn dann Spontaneität zur Tugend erhebt und mit festen, althergebrachten Werten – wie eben den Tugenden – und mit Verbindlichkeiten wenig bis nichts anfangen konnte, ja sie als reaktionär verdammte.

Aber, brauchen wir Tugenden in unserer hochzivilisierten und aufgeklärten Welt überhaupt noch? Diese Frage wird interessanterweise in der Gegenwart immer wieder bejaht, meist mit dem Verweis auf jene raffgierigen Banker, die die Welt in eine inzwischen langandauernde Krise stürzten. Aber, seien wir ehrlich: Jene, die in diesem Zusammenhang fordern, die Banker auf einen Tugend- und Wertekatalog zu verpflichten, wollen eine Rückkehr zur Tugendethik nicht wirklich. Sie nutzen den Verweis auf die Tugenden genauso, wie jene, die von der Deutschen Bahn immer wieder die Tugend der Pünktlichkeit einfordern: Als Mittel, von anderen einzuklagen, was dem eigenen Glück dient. Nur, wer eine Tugendethik will, der weiß auch, dass bestimmte Grundtugenden, wie etwa Ehrlichkeit, von jedem eingefordert werden können und müssen. Sprich: Wer fordert, dass Banker ehrlich gegenüber ihren Kunden sein sollen, wenn sie ihnen Wertpapiere verkaufen, der sollte selbst, im Kleinen, etwa bei seiner Steuer, auch absolut ehrlich sein.

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(Bruegel, Die sieben Tugenden)

Gehen wir einen Schritt weiter: Worum geht es hier eigentlich? Um unser Glück, um nicht mehr und nicht weniger. Wir haben es uns inzwischen angewöhnt, es je für uns selbst zu suchen. Mit der Folge, dass jeder dem Glück nachjagt, wobei gefühlt aber nur die wenigsten glücklich werden. Das hat verschiedene Gründe, nur einer sei hier genannt: In einer Welt, in der Spontaneität oder Flexibilität ein Ideal ist, ist es schon aus logischen Gründen nicht möglich durch die Festlegung auf eine Rolle (z.B. die der Mutter) oder einen Job dauerhaft glücklich zu sein. Den Gegenpol dazu bildet die Tugendethik. Sie steht für Verbindlichkeit und Stabilität. Sie geht davon aus, dass das Glück möglich ist, wenn ich das Gute tue, um des Wohls des Anderen willen.
Siehe auch http://www.julian.nida-ruemelin.de/deutsche-handwerkszeitung-vom-14-3-2014/

 

 

Aristoteles oder die Kritik der Alten an Smith et al

Wall street sign in New York with American flags and New York Stock Exchange background.

Wall street sign in New York with American flags and New York Stock Exchange background.

In unserer auf Fitness, Schönheit und Gesundheit fixierten Welt boomt das Geschäft mit der Gesundheit. Aktien aus dem Bereich Healthcare gelten als krisensichere Anlage. Nachweislich wird in Krankenhäusern immer wieder bei gleich guten Heilungschancen lieber operiert als konservativ behandelt, unter anderem auch, weil dadurch die Bilanzen besser werden. Aber, darf man mit der Gesundheit von Menschen Geschäfte machen?

Die Tatsache, dass es so ist und dass nicht nur der Bereich Gesundheit, sondern auch unser Tod, unsere Ängste, unsere Psyche, die Bildung und vieles andere mehr immer mehr zu Geschäftszweigen werden, zeigt aus der Sicht des antiken Philosophen Aristoteles eines: Wie sehr profitorientiertes Handeln die Gesellschaft korrumpiert. Der besorgte, verängstige Patient, der trauernde Angehörige sie alle sind oftmals nur noch eines: Kunden, denen man besonders gut etwas besonders teueres verkaufen kann. Das Gegenüber ist nicht mehr Subjekt, sondern Objekt, einer von vielen Kunden eben. Die Gier herrscht und hat sich überallhin ausgebreitet.

So ist es dann auch zu erklären, dass es uns relativ egal ist, wo und unter welchen Bedingungen unsere Kleidung, unsere Handys … hergestellt werden, entscheidend ist, dass unsere Gier nach Fortschritt, nach etwas Neuem befriedigt wird. Wer trägt schon ein Jahr lang dieselben Klamotten? Wer hat schon noch das Handy, das er vor fünf Jahren hatte, auch wenn es noch einwandfrei funktioniert? Aber, es geht noch perverser: Man kann an der Börse auch darauf spekulieren, dass es Unternehmen X gelingt, die Lohnnebenkosten durch eine Verlagerung von Arbeitsplätzen aus Deutschland in Schwellenländer zu senken und so den Gewinn zu steigern. Oder noch besser: Man kaufe Futures auf Getreide in der Hoffnung, dass aufgrund von Missernten der Preis für Getreide steigt… Unsere Gier nach Geld und Vorteilen geht vor, egal ob da nun ein paar hundert deutsche Arbeiter arbeitslos werden oder ob es sich einfache Menschen in bestimmten Teilen der Welt nicht mehr leisten können, Getreide zu kaufen, weil der Preis auf dem Weltmarkt festgesetzt wird und dank der Spekulaten künstlich in die Höhe getrieben wurde…

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Aristoteles und Plato

Das alles passiert – auch wenn sich Aristoteles vieles von dem überhaupt noch nicht vorstellen konnte – weil profitorientiertes Handeln sich durchgesetzt hat, weil statt des gerechten, natürlichen Preises für ein Produkt, ein künstlicher Marktpreis bezahlt wird. Deshalb muss im Sinne von Aristoteles die Rückkehr zum gerechten Tausch gefordert werden.

Zum Schutz der Bauern, die dann wieder selbst den Preis für ihre Produkte festlegen und aushandeln können, anstatt ihre Preise vom “Weltmarkt” bzw. von Spekulanten diktiert zu bekommen.

Zum Schutz der Näherinnen und Näher, die dann selbst den gerechten Preis für ihre Kleider bestimmen können und nicht mehr für Hungerlöhne arbeiten müssen.

Zu unserem Schutz, weil wir dann selbst gezwungen werden, unsere bequeme Konsumentenposition zu verlassen und unsere Gier zu zügeln und neu beginnen müssen, uns mit der Frage nach der Mitte, der gerechten Bezahlung, gerechten Verhältnissen auseinanderzusetzen.

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Adam Smith – der freie Markt und die Gier

Die Aktienmärkte schienen nur eine Richtung zu kennen: nach oben. Viele junge Unternehmen, aus der Computer- und Softwarebranche bereiteten ihren Gang an die Börse vor. Die Stimmung war gut. Profis zeichneten die Aktien der Startup´s und machten riesige Gewinne, denn kaum waren die Aktien tatsächlich auf dem Markt, schossen die Kurse in die Höhe.  Dieses Phänomen blieb nicht unbeachtet und bald sprach sich herum: Man kann an der Börse leichtes Geld verdienen. Normale deutsche Sparer, die traditionell eher konservativ sind und dem Aktienmarkt auch gerne ganz fernblieben, witterten plötzlich die Chance auf den schnellen Gewinn. Und tatsächlich, es ging weiter – man zeichnete – oft waren die Aktien so begehrt, dass man gar keine oder nur wenige Aktien bekam, – das Unternehmen ging an die Börse und plötzlich war man deutlich reicher, als vorher. Bis zu dem Tag, als die Blase platzte. Plötzlich fiel der Wert der Dotcom-Aktien rapide. Jene, die ihr Erspartes in der Hoffnung es an der Börse schnell vermehren zu können, zum falschen Zeitpunkt investiert hatten, verloren auf einen Schlag fast alles. Der freie Markt hatte ihre Gier bestraft. Die Dotcom Blase war geplatzt

Businesspeople grabbing money

Businesspeople grabbing money

Die Gier des Menschen, das ist ein Thema von Adam Smith. Er denkt nicht, dass der Menschen absolut schlecht sei, im Gegenteil, er traut dem Menschen sehr wohl zu, dass er echte und ehrliche Akte der Nächstenliebe vollbringt. Viel stärker als der Wunsch Gutes zu tun, ist im Menschen aber die Gier. Sie ist so stark, dass es nicht möglich ist, sie und die ihr folgenden Taten, mit Gesetzen, harten Strafen etc. zu unterbinden. Man kann sie durch entsprechende staatliche Maßnahmen gegebenenfalls eine zeitlang eindämmen, aber, so die Überzeugung von A. Smith, sie wird Wege finden, sich außerhalb der staatlichen Kontrolle frei zu entfalten.
Typisches Argument in diesem Kontext: Wenn Deutschland die Gesetze zur Spekulation an der Börse verschärft, Spekulationsgewinne massiv besteuert, dann verlagern die Banken diese Geschäftszweige eben ins Ausland und Deutschland hat das Nachsehen, denn Deutschland verliert den Ruf als weltweit wichtiger Handelsplatz und Arbeitsplätze gehen so ebenfalls verloren…

Es ist somit falsch, die Gier in den unkontrollierbaren Untergrund zu drängen, man muss sie so nutzen, dass aus ihr heraus etwas Gutes, ein Vorteil für alle entsteht. An dieser Stelle könnte man auf die Idee kommen zu sagen: Wenn der Staat oder die Gesellschaft die Gier also nicht verhindern kann, dann muss man sie eben auf bestimmte Ziele hin lenken. Doch das führt nach A. Smith nicht zum gewünschten Ziel, zu mehr Wohlstand für alle, denn A. Smith geht davon aus, dass wir alle freie Menschen sind, und wer will sich schon von einer Hand führen lassen? Deshalb muss eine unsichtbare Hand dafür sorgen, dass aus Gier ein Vorteil für alle entsteht, die unsichtbare Hand des freien Marktes. Ideal wäre somit, wenn alle, die profitorientiert handeln wollen, sich frei entfalten können. Dann entstehen, getrieben durch die Gier der Erfinder und Geschäftsleute neue Geschäftsideen, neue Produkte und Dienstleistungen, von denen sich dann am freien Markt  jene durchsetzen werden – so die (Glaubens-)Überzeugung von A. Smith –  die allen ein mehr an Wohlstand bringen.
In diesem Sinne profitieren z.B. fast alle von den Produkten von Softwarefirmen und Handyherstellern. Die Unternehmer, die zu den reichsten Männern der Welt wurden und wir, die wir als Endverbraucher nutzen, was die Firmen auf den Markt bringen. Wir sind dankbar, dass so manches, wie etwa das Schreiben und Veröffentlichen von Texten einfacher geworden und damit der Wohlstand für uns gestiegen ist.

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Damit dieser Plan, durch freien Markt allen Menschen mehr Wohlstand zu bringen, gelingt, ist es wichtig sicherzustellen, dass der Markt wirklich frei ist. Der Staat sollte deshalb nicht in den Markt eingreifen, er sollte aber den freien Markt gegen Kriminelle und Kartelle verteidigen.
Zur Idee des freien Marktes gehört, dass alle Teilnehmer frei sind. Insofern gilt, es ist vollkommen mir überlassen, ob ich beim Einkauf von Kleidern auf den fairen Wert achte (auf die Verarbeitung der Ware etc.) und den natürlichen Preis zahle oder ob ich bereit bin einen völlig überteuerten Preis, den Marktpreis zu bezahlen, weil ich unbedingt Kleidung von einem bestimmten Label will, weil ich so am Wohlstand teilhaben kann. Anders zu beurteilen wäre dieser Einkauf, wenn ich betrogen würde, wenn also ein Produktpirat mir, ohne dass ich es weiß, für einen überteuerten Preis Kleidung verkauft. In letzterem Fall wäre ein Eingreifen des Staates angezeigt.
Zur Idee des freien Marktes gehört desweiteren die Konkurrenz, denn sie sorgt dafür, dass Produkte weiterentwickelt und für den Verbraucher billiger werden. Deshalb sollte weder der Staat Monopole schaffen und haben noch zulassen, dass Unternehmen Kartelle bilden. Ein Beispiel hierfür wäre das Monopol der ehemals staatlichen Bahn auf den Busverkehr zwischen den Städten. Seitdem dieses Monopol fiel, drängen immer mehr Busunternehmen auf den Markt, die in Konkurrenz zur Bahn treten und so dafür sorgen, dass die Ticketpreise für Busfahrten zwischen den großen deutschen Städten fallen

Rawls – Gerechtigkeit als Fairness

Angenommen, der Schleier des Nichtwissens würde sich über uns senken und jeder von uns hätte auf einmal vergessen, woher er kommt, welchen sozialen Status er hatte, in welcher Gesellschaftsform er lebte, ob er reich war oder arm, was ihm gehörte und was nicht … Angenommen, dieser Schleier des Nichtwissens würde uns so tief erfassen, dass wir auch alte Prägungen und Vorurteile vergäßen, etwa über Sinti und Roma, angenommen wir wären somit völlig frei, noch einmal völlig neu mit dieser unserer Welt anzufangen, welches Gesellschaftsmodell würden wir dann wählen, welche Rechte, welche Pflichten würden wir uns dann geben?

Diese Frage ist, wenn auch anders formuliert, in der Geschichte schon oft gestellt und in philosophischen Theorien, Romanen oder Filmen beantwortet worden. Dem Roman “Herr der Fliegen” von W. Golding etwa liegt ein ähnliches Paradigma zugrunde: Jungen, völlig abgeschnitten von den Erwachsenen und der Zivilisation gründen auf einer Insel eine neue Form der Gesellschaft. In Thomas Morus Werk Utopia wiederum schaffen Menschen künstlich eine Insel, um schädliche Einflüsse von außen fern zu halten und auf der Insel die ideale Gesellschaft zu gründen. Eine Gesellschaft, die ihrerseits ihr Vorbild unter anderem bei Plato findet.

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“Utopia”

Die Frage ist immer wieder – wie sollte es anders zu erwarten sein – unterschiedlich beantwortet worden und man kann sich im Prinzip schon denken, in welche Richtungen es je grob ging:

Die neue Gesellschaft ist nach dem Prinzip “Der Stärkere setzt sich durch” oder in der modernsten Variante: “Die Gene setzen sich durch” konstruiert.
Die neue Gesellschaft folgt dem utilitaristischen Prinzip, nach dem die Mehrheit entscheidet oder
Die neue Gesellschaft ist nach den Regeln der Vernunft durchkonstruiert.

Stellt man sich die Frage selbst, so wird schnell klar, die Beantwortung hängt stark vom eigenen Menschenbild ab. Welches Verhalten erwarte ich in dieser Situation von mir und den anderen? Glaube ich an das Gute im Menschen oder nicht?

J. Rawls trifft an dieser Stelle eine Entscheidung. Er versteht den Menschen in der Tradition Kants als vernünftiges Wesen. Als solches wird es in einer Situation, in der der Schleier des Nichtwissens alles gelöscht hat, was uns mit der Vergangenheit verbindet, eine Gesellschaftsform wählen, die durch einen von allen getragenen Vertrag entsteht. Zwei Fixpunkte gibt es an dieser Stelle: Alle und wirklich alle sollen einbezogen werden (dies richtet sich klar gegen den Utilitarismus, der nur an die Mehrheit denkt) und alle müssen frei zustimmen können und aus freier Entscheidung auf bestimmte Rechte verzichten.

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Das tragende Prinzip dieses so entstehenden idealen Staates ist “Gerechtigkeit als Fairness”, eine Leitidee, die Rawls als Weiterentwicklung des Kantschen kategorischen Imperativ versteht. Ziel ist es somit, in einer Gesellschaft Strukturen zu schaffen, die Gerechtigkeit ermöglichen. Dabei geht es nicht darum, alle gleich zu machen, gerecht ist eine Gesellschaft vielmehr, wenn jeder umfassende persönliche und politische Rechte hat (auf freie Meinungsäußerung, persönliches Eigentum …) und dieselben Chancen auf Bildung und Arbeit. Fair ist es eine Gesellschaft, wenn jeder nicht nur den gleichen Zugang und Anteil an den Gütern hat, sondern auch nach seiner Leistungsfähigkeit an den Lasten der Gesellschaft beteiligt wird, denn diese braucht natürlich bestimmte Strukturen, um z.B. allen den Zugang zu Bildung oder zu öffentlichen Ämtern zu ermöglichen. Grundsätzlich aber gilt: Möglichst viel Freiheit und möglichst wenig Pflichten und Einschränkungen (solche sind natürlich unter anderem dann nötig, wenn die freie Entfaltung Einzelner durch das Tun anderer gefährdet wird).

Rawls ist sich natürlich bewusst, dass die Wirklichkeit anders aussieht. Kein Staat der Gegenwart ist aufgrund eines Gesellschaftsvertrages entstanden, es existieren im Gegenteil viele verschiedene Staats- und Gesellschaftsformen und diese wiederum sind geprägt durch überkommene soziale Strukturen… Doch es muss aus Gründen der Vernunft unser Ziel sein, dass

1) jeder das gleiche Recht auf Grundfreiheiten hat;
2) bestehende soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten so gestaltet werden, dass gerade die, die am meisten benachteiligt sind, die größtmöglichen Vorteile aus der Gesellschaft ziehen können und Chancen bekommen, die politische und gesellschaftliche Wirklichkeit mitzugestalten.

Die Sozialschmarotzer kommen! Eine Anwendung biblischer Ethik

Female beggar asks for money on the Moscow street

Bald sind sie da! Tausende von Sozialschmarotzern aus Rumänien und Bulgarien, insbesondere Sinti und Roma, fallen in Deutschland ein. Sie wollen hier nicht arbeiten, ganz abgesehen davon, dass wir dies auch nicht für gut befänden, weil sie mit Sicherheit Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen würden. Nein, sie sind hier mit einem einzigen Ziel: Sie wollen die deutschen Sozialkassen plündern, sich ein schönes Leben auf unsere Kosten zu machen.

Gedanken dieser Art sind häufiger zu hören, seit für Rumänen und Bulgaren in der ganzen EU die Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt.

Christliche Ethik ergreift Partei, sie stellt sich eindeutig und radikal auf die Seite der Armen, der Schwachen, der Unterdrückten und Verfolgten. Deshalb ist es Aufgabe all jener, die sich “christlich” nennen, Gedanken wie den oben entfalteten. entschieden und klar entgegenzutreten. Es gibt hier keine Ausrede, keine zweideutige Stelle in der Bibel, die man als Grund nehmen könnte, es anders zu sehen, nein:

Gott steht auf der Seite der Armen und er verlangt von seinem Volk, dass sie sich umfassend für die Armen einsetzen. So ist es im Alten Testament, in dem Gott durch die Propheten seinem Volk immer wieder unmissverständlich klar macht: Ich will eure Gottesdienste, eure Opfer, eure Gebete nicht! Ich will, dass Arme sicher und in Würde leben können, dass keiner mehr hungern muss, dass keiner – wie es heute bei uns auch passiert – seine Arbeitskraft auf dem Straßenstrich verkaufen muss:  So ist es auch im Neuen Testament. Dort lebt Jesus, der Sohn Gottes, die Solidarität mit den Ausgegrenzten und Armen vor und natürlich erwartet er, dass seine Jünger seinem Vorbild folgen.

Auch hier im Neuen Testament findet sich kein Ansatz für eine Ausrede. Sicher, die Christen haben gerne den Auftrag Jesu: Baut mit mir und in meiner Nachfolge das Reich Gottes, so interpretiert, dass sie sagten: Wir machen da ein bisschen, aber den Rest, den muss Gott machen, wenn er kommt und sein Reich endgültig errichtet. Aber für solche Interpretationen gibt es keinen Grund. Man lese nur jene bezeichnende Gerichtsszene in Matthäus 25, wo es darum geht, wer am Ende in den Himmel kommt: Es sind jene, die in ihrem Leben für soziale Gerechtigkeit gekämpft haben, gegen Vorurteile und Verfolgung und nicht die Frommen, die die Bibel auswendig können.

Schön, schön mag man da einwenden, aber reicht es nicht, dass wir in Deutschland die vielen tausend deutschen Empfänger von Leistungen nach SGB II unterstützen. Es gibt doch genug Arme in Deutschland, warum sollen wir auch noch jene unterstützen, die aus fernen Teilen Europas (und der Welt) zu uns kommen? Auch auf diese Frage, gibt es eine eindeutige Antwort in Lukas 10:

Und siehe, ein Gesetzesgelehrter stand auf und versuchte ihn und sprach: Lehrer, was muss ich getan haben, um ewiges Leben zu erben? Er aber sprach zu ihm: Was steht in dem Gesetz geschrieben? Wie liest du? Er aber antwortete und sprach: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft und mit deinem ganzen Verstand und deinen Nächsten wie dich selbst.« Er sprach aber zu ihm: Du hast recht geantwortet; tu dies, und du wirst leben.

A homeless beggar is begging on a busy street in the center of Sofia.

A homeless beggar is begging on a busy street in the center of Sofia.

Indem er aber sich selbst rechtfertigen wollte, sprach er zu Jesus: Und wer ist mein Nächster? Jesus aber nahm das Wort und sprach: Ein Mensch ging von Jerusalem nach Jericho hinab und fiel unter Räuber, die ihn auch auszogen und ihm Schläge versetzten und weggingen und ihn halb tot liegen ließen. Zufällig aber ging ein Priester jenen Weg hinab; und als er ihn sah, ging er an der entgegengesetzten Seite vorüber. Ebenso aber kam auch ein Levit, der an den Ort gelangte, und er sah ihn und ging an der entgegengesetzten Seite vorüber. Aber ein Samariter, der auf der Reise war, kam zu ihm hin; und als er ihn sah, wurde er innerlich bewegt; und er trat hinzu und verband seine Wunden und goss Öl und Wein darauf; und er setzte ihn auf sein eigenes Tier und führte ihn in eine Herberge und trug Sorge für ihn. Und am folgenden Morgen zog er zwei Denare heraus und gab sie dem Wirt und sprach: Trage Sorge für ihn! Und was du noch dazu verwenden wirst, werde ich dir bezahlen, wenn ich zurückkomme. Was meinst du, wer von diesen dreien der Nächste dessen gewesen ist, der unter die Räuber gefallen war? Er aber sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm übte. Jesus aber sprach zu ihm: Geh hin und handle du ebenso!

Wer also ist mein Nächster? Nur der verarmte, notleidende Deutsche? Nein! Jeder Mensch, der Not leidet, auch der Fremde, von dem ich nichts weiß.